Essen. Innogy-Finanzchef Bernhard Günther spricht über seine Theorie zum Säureanschlag: „Es ging wohl darum, dass ich mein Augenlicht verliere.“
Innogy-Finanzvorstand Bernhard Günther spricht erstmals ausführlich öffentlich darüber, warum er einen ehemaligen Konkurrenten im Job als Auftraggeber für den auf ihn verübten Säureanschlag vermutet. „Es ging wohl darum, dass ich mein Augenlicht verliere“, sagt Günther im „Handelsblatt“. „Und hätte ich keine Kontaktlinsen getragen, wäre das auch passiert. Das wäre für mich dann das berufliche Aus gewesen.“
Am 4. März 2018 ist Innogy-Finanzchef Günther nach dem Joggen in der Nähe seines Wohnhauses in Haan bei Düsseldorf von Vermummten überfallen und mit hochkonzentrierter Säure übergossen worden. „Wenn jemand scharf auf Ihren Job ist oder glaubt, dass Sie seiner Karriere im Wege stehen, dann wäre das schon eine sehr effektive Methode“, sagt Günther in dem Interview. „Man schaltet jemanden aus, ohne ihn töten zu müssen.“
Die Hintergründe der Tat sind bislang unbekannt. Günther vermutet, dass es einen Auftraggeber gibt. Auf die Frage, ob er eine spezielle Person in Verdacht habe, gegen die auch ermittelt werde, sagt der Manager: „Ja.“ Offensichtlich habe die Justiz jedoch bisher nicht ausreichend Beweise vorliegen. Und zu Recht gelte der Grundsatz der Unschuldsvermutung.
„Dann haben Personen einen Vorteil, die das Unternehmen schon kennen“
Insbesondere auf den Zeitpunkt der Tat geht Günther in dem „Handelsblatt“-Interview ein. Im Frühjahr 2018 habe es bei der damaligen RWE-Tochter Innogy bereits eine „sehr schwierige Situation“ gegeben, erklärt er. Drei Monate zuvor sei Innogy-Vorstandschef Peter Terium „Knall auf Fall“ gegangen. „Als Finanzvorstand war ich der einzig verbleibende Vorstand mit ausgewiesener Kapitalmarkterfahrung. Die Übernahmeofferte von Eon war uns damals zwar noch nicht bekannt, aber es gab schon sehr viele Gerüchte um Innogy.“ Die Unruhe und die Verunsicherung seien „riesengroß“ gewesen.
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„Es liegt auf der Hand, dass es in einer solchen Gemengelage ,freie Plätze‘ gibt, wenn der CEO weg ist und dann der Finanzvorstand aus dem Spiel genommen wird“, so Günther. „Die entstandenen Lücken müssen schnell geschlossen werden. Dann haben Personen einen Vorteil, die das Unternehmen schon kennen und sich nicht völlig neu einarbeiten müssen.“ Hinzu komme „ein attraktives“ Gehalt. „Es wurden schon Verbrechen wegen geringerer Summen verübt“, sagt Günther. Diese Situation habe sich allerdings mit der Übernahmeofferte von Eon und RWE, die eine Woche nach dem Anschlag bekanntgegeben worden sei, schnell erledigt. „Aber das konnte man zum Zeitpunkt des Anschlags auf mich noch nicht wissen.“
„Gesicht des Täters habe ich wie einen Schnappschuss vor Augen“
Ein Tatverdächtiger war vor wenigen Wochen verhaftet und dann wieder freigelassen worden. „Nach den Fotos, die man mir vorgelegt hat, steht für mich fest, dass er einer der Täter ist“, betont Günther. „In der Tat ist das damals alles sehr schnell abgelaufen. Aber das Gesicht des Täters habe ich wie einen Schnappschuss vor Augen. Als ich entsprechende Bilder des Tatverdächtigen gesehen habe, hat es sofort Klick gemacht.“
Im Interview mit dem „Handelsblatt“ kritisiert der Manager auch die Staatsanwaltschaft. Seine Theorie zur Tat, die nun im Zentrum der Ermittlungen stehe, sei zunächst nicht ernst genommen worden. Erst nachdem er und sein Arbeitgeber Innogy selbst aktiv geworden seien – mit der Auslobung einer Belohnung und Ermittlungen eines privaten Sicherheitsdienstes – habe es Bewegung gegeben. „Im vergangenen Jahr konzentrierten sich die Ermittlungen auf private Motive.“ Man habe „leider nicht mit demselben Engagement die Spur im beruflichen Umfeld verfolgt“, kritisiert Günther.
„Zumindest ist einiges, was in der Justiz passiert, für mich als Bürger und Überfallopfer nur schwer nachvollziehbar und hinnehmbar“, sagt der Manager. Als Beispiel nennt er: „Wenn Sie als Verantwortlicher wissen oder gar entscheiden, dass ein Tatverdächtiger, der möglicherweise eine Familie bedroht, wieder auf freien Fuß kommt, dann rufen Sie doch bei dieser Familie an und warnen sie. Das ist doch das Mindeste, was man tun kann.“
Landgericht Wuppertal hat Haftbefehl gegen Beschuldigten aufgehoben
Von der Freilassung des Verdächtigen in seinem Fall habe er über eine Presseanfrage erfahren, berichtet Günther. „Das Gericht hat erst die Presse informiert und uns nicht. Das mag ja formell alles korrekt abgelaufen sein. Aber es zeigt einen eklatanten Mangel an Einfühlungsvermögen und Mitgefühl für das Opfer.“ Es sei nicht viel Fantasie erforderlich, um sich vorstellen zu können, dass sich mit der Freilassung des Tatverdächtigen „schlagartig die Bedrohungslage für mich und meine Familie ändert“. Er stehe weiterhin unter Schutz, bestätigt der Manager.
Das Landgericht Wuppertal hat am 29. November in einer Pressemitteilung begründet, warum der Haftbefehl gegen den Beschuldigten aufgehoben wurde. So sei keine sichere Identifizierung möglich gewesen, unter anderem weil Privatermittler dem Innogy-Manager schon vorab Bilder des Mannes vorgelegt hätten. „Einen dringenden Tatverdacht vermochten auch die Angaben eines anonymen Zeugen nicht zu begründen“, erklärt das Gericht weiter. Zwar habe sich eine den Ermittlern und dem Gericht unbekannte Quelle an einen Rechtsanwalt gewendet und über diesen Angaben zur Sache gemacht. Diese Quelle sei aber nicht bereit, sich einer gerichtlichen Befragung zu stellen.
„Wir geben jedenfalls nicht auf“
Günther sagt, er hoffe weiterhin, dass der Fall aufgeklärt werde. „Wir geben jedenfalls nicht auf.“ Die offenen Fragen seien eine „große Belastung für meinen weiteren Lebensweg“, betont der Manager. Aus dem Innogy-Vorstand werde er ausscheiden, wenn der Konzern „erfolgreich in die neue Eon übergegangen“ sei. Vor wenigen Tagen hat Thyssenkrupp mitgeteilt, Günther werde Anfang nächsten Jahres für den Aufsichtsrat des Essener Industriekonzerns kandidieren.
Wenn seine Theorie stimme, gebe es zumindest etwas Tröstliches für ihn, sagt Günther: „Das Tatmotiv ist nicht mehr gegeben. Meinen Job als Finanzvorstand wird es bald nicht mehr geben.“