Essen/Novouralsk. Atomgegner kritisieren Entsorgung von „Atommüll“ in Russland. Rosatom will abgereichertes Uran aus Deutschland in Schnellen Brütern einsetzen.

Am Freitagmittag passierte die unter panamaischer Fahne fahrende Mikhail Dudin den Skagerrak, die Verbindung zwischen Nord- und Ostsee. Am Abend des 26. November wird das Containerschiff in St. Petersburg erwartet. An Bord: 600 Tonnen radioaktives Uranhexafluorid (UF6) aus der Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau. Von St. Petersburg aus wird der Transport 2200 Kilometer weiter ins Landesinnere gehen, nach Novouralsk, einer von Stacheldraht umgebenen, geschlossenen Stadt in der Nähe der Metropole Jekaterinburg. Russische Atomkraftgegner befürchten, dass Novouralsk als Endlager für deutschen Atommüll missbraucht werden soll. Der staatliche russische Atomkonzern Rosatom bezeichnet das Material hingegen als „strategische Reserve“.

Vladimir Slivyak ist Ko-Vorsitzender von Ecodefense, einer der ältesten Umweltorganisationen in Russland, die seit 2014 als „ausländische Agentin“ gebrandmarkt wird und entsprechenden Restriktionen unterliegt. Seit etlichen Jahren kämpfen Slivyak und seine Mitstreiter gegen die UF6-Transporte aus Deutschland. Zwischenzeitlich schien es, als hätten sie damit Erfolg. 2009 musste Urenco, die UAA-Betreiberfirma, die Transporte einstellen. Seit Mai rollen sie wieder. Mit der aktuellen Lieferung hat Urenco in diesem Jahr über 5000 Tonnen UF6 nach Russland bringen lassen.

Hunderttausende Tonnen hochtoxisches Material unter freiem Himmel

In der Düsseldorfer Zentrale des Landesverbandes der Grünen macht Slivyak einen Witz: „Nuklearer Abfall ist kein Käse.“ Käse darf seit 2014 nicht mehr aus Deutschland nach Russland exportiert werden, eine der Moskauer Maßnahmen gegen die Sanktionen nach der Krim-Annexion. Aber eigentlich ist dem russischen Aktivisten nicht zum Lachen zumute.

In Novouralsk und drei anderen Standorten sollen bereits rund eine Million Tonnen des hochtoxischen Materials unter freiem Himmel lagern. Berichte aus den Jahren 2003 bis 2010 hätten gezeigt, dass es erhebliche Risiken gebe: Die Behälter könnten leckschlagen oder korrodieren.

UF6 entsteht als Abfallprodukt bei der Anreicherung von Natur-Uran. Nur angereichertes Uran kann als Brennstoff für Kernkraftwerke genutzt werden. Urenco, ein britisch-deutsch-niederländisches Gemeinschaftsunternehmen, an dem RWE und Eon je ein Sechstel der Anteile halten, betreibt vier Anreicherungsanlagen.

Anreicherung von Uran ist noch immer ein lukratives Geschäft

Angereichertes Uran des Unternehmens wird beispielsweise in den als gefährlich geltenden belgischen Reaktoren in Doel und Tihange eingesetzt, berichtet Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen. Offenbar ein lukratives Geschäft: Urenco hat 2018 wie in den Vorjahren eine Dividende von 300 Mio Euro an seine Anteilseigner ausgeschüttet.

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Theoretisch gilt das in dem Anreicherungsprozess in Gronau entstandene UF6 als Atommüll. Die Lagerung in Deutschland ist schwierig und kostspielig. Also versuche Urenco das Material kostengünstig in Russland zu entsorgen, warnen Kritiker wie Eickhoff. Urenco selbst deklariert das UF6 als Wertstoff, weil es wieder angereichert werden könne (die NRZ berichtete). Die Landesregierung folgt dieser Argumentation und hat keine Einwände gegen die Transporte.

In Russland hat eine gemeinsame Initiative von Ecodefense und Greenpeace gegen die Transporte für so viel Wirbel gesorgt, dass sich der staatliche Atomkonzern Rosatom zu einer Stellungnahme gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti genötigt sah. Wie Urenco beteuert auch Rosatom, dass es sich bei UF6 nicht um radioaktiven Abfall handele. Man könne damit Uranoxid produzieren, das der Rohstoff für die Herstellung von so genannten MOX-Brennstoffen sei, die in Schnellen Brütern Verwendung finden könnten. „Die UF6-Reserven sind eine strategische Reserve für die Versorgung der Kernindustrie der Zukunft“, zitiert RIA das Unternehmen.

Einsatz in Schnellen Brütern: Herstellung von kernwaffenfähigem Plutonium?

Schnelle Brüter sind allerdings Kernkraftwerke, in denen kernwaffenfähiges Plutonium produziert werden kann. Atomkraftgegner Slivyak spitzt es zu: „So würde Deutschland Russland bei der Fabrikation von Atomwaffen helfen.“ Theoretisch wäre das machbar, sagt auch Heinz Smital, Kernphysiker und Atom-Experte bei Greenpeace. Tatsächlich hält er aber die Argumente von Rosatom wie von Urenco für vorgeschoben.

Die Wiederanreicherung des UF6 sei schlicht zu aufwändig, insbesondere, da die Uranpreise derzeit im Keller seien. „Es geht darum zu verschleiern, dass da Atommüll entsorgt wird.“ Denn das wäre illegal.