Essen. . Bundesregierung verteidigt den Export von Brennelementen nach Belgien. Auch aus NRW beziehen die umstrittene Atomreaktoren Uranbrennstoff.
Eine Kettenreaktion der anderen Art planen Atomkraftgegner in Deutschland, Belgien und den Niederlanden im Juni. Hand in Hand wollen sie eine 90 Kilometer lange Menschenkette bilden, um gegen die umstrittenen Atomreaktoren in Belgien zu protestieren.
Ein langes Band soll sich von Aachen über Maastricht und Lüttich bis ins belgische Tihange ziehen – dort steht der marode Atommeiler, der den Menschen in der Region seit langem Sorgen bereitet. Von der Bundesregierung fühlt man sich in der Grenzregion im Stich gelassen, das wurde gestern beim offiziellen Startschuss der Aktion in Aachen deutlich.
Notfallbroschüren für die Bürger
Während die Behörden in der Stadt bereits Notfallbroschüren verteilen, wie sich die Bürger bei einem Atomunfall im nur 70 Kilometer entfernten Kraftwerk verhalten sollten – „möglichst in Räumen mit dicken Wänden aufhalten“ – tobt in Deutschland der politische Streit über die Lieferung von Brennstäben für die belgischen Reaktoren.
Denn trotz der auch im Berliner Umweltministerium herrschenden Zweifel an der Sicherheitslage der über 40 Jahre alten Reaktorblöcke, wurden 50 Transporte aus der Brennelemente-Fabrik Lingen in Niedersachsen nach Tihange und Doel bei Antwerpen von der Bundesregierung gebilligt. Dies gehe aus einer Liste des Bundesamtes für Kerntechnische Entsorgungssicherheit hervor, worüber zuerst der WDR berichtete.
Zahreiche Störfälle und Abschaltungen
Das bringt NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) auf den Baum. Er wirft der Bundesregierung vor, sie mache sich mit ihrer Kritik an den Atomkraftwerken unglaubwürdig. „Wortreich wird die Forderung nach Abschaltung der belgischen Bröckelreaktoren unterstützt, aber gleichzeitig genehmigt sie Atomlieferungen, ausgerechnet zu dem umstrittenen Reaktor Tihange 2.“ Zahlreiche Störfälle und Abschaltungen sowie tausende Risse im Druckbehälter zeugten von einem mangelhaften Sicherheitsstandard.
Laut Remmel könne die Lieferung von Brennelementen ins Ausland verboten werden, wenn die Sicherheit der Anlagen nicht ausreichend nachgewiesen sei. Die NRW-Landesregierung beschloss jetzt, sich der Klage gegen den Betrieb von Tihange, die von der Städteregion Aachen und weiteren Gemeinden eingereicht wurde, ebenfalls anzuschließen.
Bundesregierung verteidigt die Lieferungen
Remmels Vorwurf richtet sich in erster Linie an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Hatte sie sich in der Vergangenheit bei der belgischen Regierung für eine zumindest befristete Abschaltung der Reaktoren stark gemacht, verteidigt sie jetzt die Lieferung der Brennelemente und verweist dabei auf die Rechtslage. Die Ausfuhr könne nur untersagt werden, „wenn sie gegen unsere internationalen Verpflichtungen verstieße oder die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik gefährden würde“.
Ihr Ministerium beruft sich dabei auf ein juristisches Gutachten, das dieser Zeitung vorliegt. Danach sehe das Atomgesetz nicht vor, „dass gewährleistet sein müsste, dass die ausgeführten Kernbrennstoffe am Zielort gemäß den Vorschriften des deutschen Atomrechts verwendet werden“. Dies gelte nur für Einfuhren. Die bestehenden Sicherheitsbedenken gegen die belgischen Kraftwerke führten nicht zu einer Gefahr für die Sicherheit Deutschlands.
Auch NRW liefert Uran-Brennstoff
Das sehen die Grünen anders. Die Vorsitzende der NRW-Grünen, Mona Neubaur, hält die Lieferungen für einen Skandal, sie forderte Berlin auf, umgehend einen Exportstopp für Brennelemente nach Tihange und Doel zu verhängen. Bei einem Austritt von Radioaktivität seien weite Teile von Nordrhein-Westfalen massiv betroffen.
Atomkraftgegner rechnen vor, dass Deutschland insgesamt vier der sieben belgischen Reaktorblöcke mit Treibstoff versorge. Denn neben Lingen beliefert auch die Uran-Anreicherungsanlage in Gronau (NRW) die belgischen Meiler mit Brennstoff. Bis 2017 wollte die rot-grüne Landesregierung die Atomfabrik eigentlich stilllegen. Die Betreibegesellschaft Urenco kommentierte dies gelassen: „Davon hat Herr Remmel schon öfters geredet.“