Essen. Pflegeheim-Ratingreport des RWI Leibniz Instituts sieht wachsende Finanzprobleme der Altenheime. Und rechnet hoch, wie viele akut bedroht sind.

Jedes vierte Pflegeheim schreibt inzwischen Verluste, gut jedem zehnten droht die Pleite – zu diesem Ergebnis kommt das RWI Leibniz-Institut in seinem jüngsten Pflegeheim-Ratingreport. Damit gehe es den Pflegeheimen finanziell nach wie vor deutlich besser als den Krankenhäusern, die Lage verschlechtere sich aber. Für die kommenden Jahre erwarten die Essener Wirtschaftsforscher einen deutlich wachsenden Bedarf an Pflegepersonal und an frischem Kapital. Dabei sind viele Anbieter schon heute nicht mehr in der Lage, in ihre Heime zu investieren.

Das RWI hat 370 Bilanzen aus den Jahren 2016/17 geprüft, die Aufschlüsse über die Finanzlage von 1840 Pflegeheimen geben. Demnach sind deutlich mehr Einrichtungen in die roten Zahlen gerutscht: Nach zehn Prozent im Jahr 2016 gaben 2017 schon 24 Prozent der Pflegeheime mehr aus als sie einnahmen. Für die Jahre 2018 und 2019 erwarten die Experten vom RWI ähnliche Werte.

Die Insolvenzgefahr steigt mit den Kosten

Mehrere verlustreiche Jahre hintereinander bringen eine erhöhte Insolvenzgefahr für einige Häuser mit sich: Valide beurteilen kann das RWI dies für 4,4 Prozent der deutschen Heime im Jahr 2017. Das ist im Vergleich zu den Krankenhäusern, deren Finanzlage das RWI ebenfalls regelmäßig prüft, noch vergleichsweise wenig: Von ihnen waren 2017 gut zwölf Prozent erhöht insolvenzgefährdet. Allerdings gehen die Gesundheitsforscher in ihren Prognosen davon aus, dass die Altenheime inzwischen auch in diese Regionen vorgestoßen sind: das RWI erwartet einen deutlichen Anstieg der Häuser im roten Bereich auf 11,2 Prozent im laufenden Jahr. Das wäre fast eine Verdreifachung binnen zwei Jahren.

„Das bedeutet nicht, dass nun auch elf Prozent der Pflegeheime Insolvenz anmelden, die Träger werden versuchen, dem entgegenzusteuern“, sagt Dörte Heger, Autorin des Ratingreports, ergänzt aber: „In NRW beobachten wir aber bereits vereinzelt, dass auch Heime schließen.“

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Und der Ausblick ist alles andere als positiv: Weil die Gesellschaft weiter altert, müssen künftig vor allem ambulant, aber auch stationär deutlich mehr Menschen gepflegt werden. 2017 lebten von den 3,4 Millionen pflegebedürftigen Menschen rund 820.000 in Altenheimen. Das RWI prognostiziert bis 2040 einen Anstieg auf fünf Millionen Pflegebedürftige und 1,25 Millionen Heimbewohner. Dafür brauche es mehr als 100.000 zusätzliche Pflegefachkräfte allein im stationären Bereich und eine ebenfalls sechsstellige Zahl an weiterem Helferpersonal. Dabei fällt es den Anbietern schon heute immer schwerer, ihre offenen Stellen zu besetzen, klagen viele über akute Personalnot.

Die Löhne steigen schon schneller

Die Politik will dafür den Beruf aufwerten, was auch zu steigenden Löhnen führen soll. Doch wie wirkt sich dieser gesellschaftliche Konsens auf die Finanzlage der Heime aus? „Die Heime brauchen zweifellos mehr Personal. Die Löhne steigen wegen des Fachkräftemangels schon jetzt schneller als im Durchschnitt aller Branchen. Das geschieht durch den normalen Marktprozess von Angebot und Nachfrage und ist auch notwendig“, betont Gesundheitsökonomin Dörte Heger. Aber: „Für die Heime sind die steigenden Kosten eine enorme Herausforderung, wenn sich nicht auch ihre Einnahmen erhöhen. Sie sollten deshalb mit den Kostensteigerungen nicht allein gelassen werden.“

Eine angehende Altenpflegerin spielt mit einer Heimbewohnerin. Weil die Personaldecke knapp ist, kommt es dazu in vielen Heimen nur selten.
Eine angehende Altenpflegerin spielt mit einer Heimbewohnerin. Weil die Personaldecke knapp ist, kommt es dazu in vielen Heimen nur selten. © Waltraud Grubitzsch

Um mit den höheren Kosten nicht die Insolvenzgefahr für die Heimträger weiter zu erhöhen, müssten daher „die Preise für Pflegeleistungen und damit die Belastung der Pflegebedürftigen steigen“, heißt es im Report des RWI Leibniz Instituts für Wirtschaftsforschung. Zur anderen Möglichkeit, die Leistungen aus der Pflegeversicherung zu erhöhen, heißt es: „Inwieweit die Beitragszahler noch weiter belastet werden können, hängt von der gesamten Abgabenlast mit Steuern und Sozialabgaben ab.“

Müssten die Pflegebedürftigen die Hauptlast der steigenden Kosten tragen, wird das am Ende auch die Kommunen belasten. Fast jeder vierte Heimbewohner ist in NRW bereits auf Unterstützung vom Sozialamt angewiesen. Da die Bundesregierung die Angehörigen künftig weitgehend verschonen will, drohen den im Ruhrgebiet besonders klammen Städten ohnehin deutliche Mehrkosten.

Viele Heime können nicht mehr investieren

Die Heime brauchen aber nicht nur mehr Personal, sie müssten auch massiv in den Ausbau ihrer Einrichtungen und in eine modernere Ausstattung, etwa zur Entlastung ihres Personals, investieren. Das RWI hat einen Investitionsbedarf von 109 Milliarden Euro in den deutschen Pflegeheimen bis 2040 hochgerechnet. Das ist nach heutigem Stand eine arg theoretische Größe, denn immer mehr Heime haben nichts mehr für die Schaffung neuer Plätze oder die Anschaffung von Geräten übrig: 2017 waren 34 Prozent der Einrichtungen gar nicht mehr in der Lage zu investieren und weitere 9 Prozent nur sehr eingeschränkt Tendenz laut RWI weiter steigend.

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Um die schon heute große Belastung der Pflegekräfte zu mindern, plädiert RWI-Expertin Heger für „eine Kombination aus einer differenzierteren Aufgabenverteilung nach Qualifikationsniveau, mehr Ausbildung und moderne Technologie“. Das sowie weniger Bürokratie, mehr ausländische Fachkräfte und mehr gesundheitliche Prävention könne „helfen, die Pflege zukunftsfest zu machen“, so Heger.