Essen. Die Regierung hat beim Klimapaket nicht auf den Rat der Sachverständigen gehört. Warum es deshalb vor allem teuer wird, erklärt RWI-Chef Schmidt.
Egal, wer auf welche Weise Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre bläst – er soll dafür den gleichen Preis zahlen: Dieses Prinzip gilt dem Wirtschaftsweisen Christoph M. Schmidt und Klimaforschern als entscheidend für den Klimaschutz. In einem Sondergutachten hat der Sachverständigenrat dargelegt, wie das funktionieren kann. Doch die Bundesregierung hat nicht auf ihre Berater gehört. Was er vom Klimapaket hält, verrät der Präsident des Essener RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung im Interview mit Stefan Schulte.
Herr Prof. Schmidt, es kommt nicht so oft vor, dass sich Klimaexperten und Ökonomen einig sind. Sie haben einen gemeinsamen Vorschlag mit Prof. Edenhofer für einen CO2-Preis gemacht. Wie enttäuscht sind Sie, dass die Regierung nicht auf Sie gehört hat?
Christoph M. Schmidt: Ich bin einerseits in der Tat enttäuscht, denn die intensiven Debatten der vergangenen Wochen hatten uns Hoffnung auf einen größeren Wurf gemacht. Das hätte vor allem bedeutet, dass der CO2-Preis in den Mittelpunkt gerückt würde. Aber jetzt spielt der CO2-Preis im vorgestellten Klimapaket leider statt einer Hauptrolle neben den vielen Einzelmaßnahmen fürs erste eher eine bescheidene Nebenrolle. Andererseits darf man sich freuen, dass das Klimakabinett ausdrücklich die umfassende und europaweite Bepreisung von CO2 in Aussicht gestellt hat. Noch vor kurzem hätten wir das doch kaum für möglich gehalten.
Auch interessant
Die Regierung führt nun CO2-Preise für Treibstoffe und Heizöl ein, die bei 10 Euro je Tonne beginnen, was Benzin drei Cent teurer macht. Bringt das überhaupt etwas?
Man darf in der Tat skeptisch sein, ob uns ein so niedriger Preis den Klimazielen näherbringt. Es ist zwar richtig, in den neu in den Blick genommenen Sektoren Gebäude und Verkehr sanft in die Bepreisung von CO2 einzusteigen, damit sich Haushalte und Unternehmen an die neue Situation anpassen können, und dann im Zeitverlauf eine Steigerung vorzusehen. Das hatten wir auch als Sachverständigenrat vorgeschlagen. Aber hier wird jetzt sanft mit homöopathisch verwechselt. Wenn man etwa den bestehenden europäischen Emissionshandel für Industrie und Energiewirtschaft als Gradmesser heranzieht, dann hätten es schon 20 bis 25 Euro pro Tonne CO2 sein dürfen, um eine nennenswerte Lenkungswirkung zu erzielen.
Dass die benötigten 300 Millionen Tonnen CO2 bis 2030 so gespart werden können, glaubt fast niemand. Für wie viele Tonnen ist das Paket Ihrer Meinung nach gut?
Das kann doch seriös niemand einschätzen, weil ausdrücklich kein vollständiger Emissionshandel eingeführt wird, der die Zielerreichung hätte garantieren können. Zudem wird zu Beginn auch kein CO2-Festpreis gewählt, der eine nennenswerte Lenkungswirkung versprechen könnte. Stattdessen gibt es eine große Schar von Einzelmaßnahmen, deren Einsparpotenziale unbekannt sind. Sicher ist nur, dass sie viel Geld kosten werden.
Das Klimapaket besteht aus vielen Einzelmaßnahmen, warum halten Sie das für falsch?
Letztlich wird die Vermeidung von CO2 natürlich viele Einzelmaßnahmen erfordern. Der springende Punkt ist allerdings ihre Auswahl im Zeitverlauf. Es wäre richtig, jetzt solche Maßnahmen zu ergreifen, die zu vergleichsweise geringen Kosten Vermeidungserfolge bringen. Wenn durch technischen Fortschritt dann weitere günstige Vermeidungsoptionen entstehen, sollte man diese wiederum zuerst ergreifen, um noch mehr CO2 zu vermeiden. Ein einheitlicher Preis für CO2 wäre dafür das ideale Koordinationssignal. Statt Bürgern und Unternehmen Maßnahmen vorzuschreiben, könnten diese dann selbst entscheiden, welche Maßnahme für sie die Beste ist.
Wenn Sie sich darauf einließen, Vorschläge für einzelne Sektoren zu machen – was würde den Verkehr klimafreundlicher machen?
Es ist einer der größten Fehler der bisherigen Klimapolitik, jeden Sektor, also etwa Gebäude, Verkehr oder Industrie getrennt in den Blick zu nehmen und dort jeweils eigene Klimaziele zu verfolgen. Stattdessen sollte sich die Politik darauf konzentrieren, die Gesamtemissionen zu senken. Denn diese sind einzig und allein das, was fürs Klima zählt. Dennoch liegt es nahe, dass die richtigen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur dort günstige Vermeidungsmöglichkeiten erschließen könnten. So wäre es beispielsweise sinnvoll, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und besser zu koordinieren, um ihn attraktiver zu machen.
Sie hatten vorgeschlagen, die Einnahmen aus der CO2-Abgabe an die Bürger zurückzuzahlen, so dass jene ohne oder mit verbrauchsarmen Autos profitiert hätten. Die Regierung tut das nicht – ist ihr Klimapaket unsozial?
Das will ich so zwar nicht sagen. Aber der Vorschlag für eine wahrhaft sozial ausgewogene Lösung lag doch auf dem Tisch: die Kombination eines wirksamen CO2-Preises mit einem Mechanismus, der die aus der Bepreisung erzielten Einnahmen wieder an die Bürgerinnen und Bürger zurückführt. Doch zumindest Teile der Bundesregierung trauen offenbar einer marktwirtschaftlichen Koordination über CO2-Preise nicht so recht, so dass die Einnahmen aus der geplanten zaghaften Bepreisung stattdessen für Einzelmaßnahmen verwendet werden sollen, um Emissionen zu reduzieren. Dies wird vor allem die glücklichen Empfänger der Förderung begünstigen.
Das Klimapaket enthält viele neue Prämien und Förderungen, sprich Subventionen. Neigt Politik dazu, den Leuten lieber Geld zu geben als zu nehmen?
Jedenfalls gibt es ein gewisses Muster: Wohltaten, die einer klar abzugrenzenden Gruppe von Begünstigten zugute kommen, werden in der Regel deutlich als solche sichtbar und bringen Wählergunst mit sich. Die Kosten ihrer Finanzierung werden hingegen meist von einer breiteren Gruppe von Belasteten getragen und fallen für jeden Einzelnen nicht so sichtbar ins Gewicht. Aber diese Lasten sind unvermeidbar, denn eigenes Geld, das sie zur Finanzierung ihrer Entscheidungen zuschießen könnte, hat die Politik ja nicht. Umso mehr wäre sie eigentlich in der Pflicht, eine volkswirtschaftlich effiziente Klimapolitik zu betreiben.