Essen. . Christoph M. Schmidt, Chef der Wirtschaftsweisen und des RWI, fordert eine CO2-Steuer, die für alle gleich gilt. Der Kohleausstieg sei zu wenig.
Klimaforscher und Volkswirte sprechen eher selten mit einer Stimme. Christoph Schmidt und Ottmar Edenhofer haben es jetzt getan und der Bundesregierung ein neues Konzept zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen vorgelegt. Der Chef der Wirtschaftsweisen und der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung plädieren für eine einheitliche Steuer auf den Ausstoß von CO2 – egal, ob aus der Industrie, dem Auto oder der Heizung. Über die Klimapolitik, den Kohleausstieg und die soziale Schieflage der Energiewende sprach Stefan Schulte mit Christoph Schmidt, dem Chef des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen.
Herr Schmidt, die Regierung will Anfang Februar ein Enddatum für die Braunkohle und einen Fahrplan zur Abschaltung der Kohlekraftwerke beschließen. Ist das der richtige Weg?
Christoph Schmidt: Nein, leider nicht. Es gäbe eine viel bessere Energiewendepolitik, die deutlich weniger kleinteilig vorginge. Wenn das System der Energieversorgung einmal erfolgreich umgestellt sein wird, also in einigen Jahrzehnten, werden zwar die Kapazitäten der regenerativen Stromerzeugung stark ausgebaut und die fossilen Kraftwerke weitgehend abgeschaltet sein. Doch die Politik muss sich immer fragen: Was machen wir zuerst? Der Weg ist die eigentlich spannende Frage, nicht das Ziel. Statt diesen im Detail zu planen, sollte die Politik auf dezentrale Entscheidungen setzen – und diese mit einem einheitlichen Preis von CO2 steuern: Wer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre entlässt, sollte auch mehr bezahlen.
Der Markt soll es also regeln?
Ich weiß, dass die Politik sich schwer damit tut, auf Preissignale zu setzen, weil sie ungern loslässt und nicht so recht auf Marktmechanismen vertraut. Stattdessen setzt sie lieber auf eine Mengensteuerung, in diesem Fall von CO2 aus Braunkohlekraftwerken. Doch wenn sie glaubt, die Energiewende so besser steuern zu können, irrt sie sich gewaltig. Denn wenn sie nur eine Emissionsquelle aus dem Spiel nimmt, werden andere attraktiver, etwa Steinkohle. In Summe gelangen dann nach wie vor zu viel Treibhausgase in die Atmosphäre. Gehen wir weiter auf diese Weise vor, wird das Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, bald unerreichbar sein.
Die betroffenen Länder, vor allem die ostdeutschen, fordern viele Milliarden an Strukturhilfen. Versuchen sie, den Kohleausstieg zu nutzen, um Versäumnisse beim Aufbau Ost nachzuholen?
Bei der Forderung nach 60 Milliarden Euro könnte man diesen Eindruck gewinnen, ich möchte aber nicht über die Motive der Ministerpräsidenten spekulieren. Klar ist: Weil man sich jetzt so auf den Braunkohleausstieg versteift, geraten die betroffenen Regionen in den Fokus. Dass die ihre Existenz möglichst teuer verkaufen wollen, ist verständlich. Aber mit dem Klimawandel hat das nur bedingt zu tun, der wird nicht in der Lausitz entschieden. Wir müssen vielmehr die Themen Strukturwandel und Energiewende voneinander trennen.
Die Kohlekommission will für energieintensive Industrien weiter Ausnahmen machen und sie von Abgaben weitgehend befreien. Widerspricht das nicht Ihrem Konzept?
Nein, überhaupt nicht – es geht darum, zwar die Klimapolitik voranzubringen, aber zugleich internationale Wettbewerbsnachteile für unsere Industrie zu vermeiden. Das ist umso wichtiger, je weniger andere Volkswirtschaften bei der Bepreisung von CO2 mitmachen. Ebenso wichtig ist: Es reicht nicht aus, bei der Emissionsvermeidung nur auf die Industrie zu schauen, aber kaum auf den Verkehr und den Wohnungssektor. Alle Verursacher von Emissionen müssten gleichermaßen an ihrem CO2-Ausstoß gemessen und entsprechend besteuert werden.
Sie wollen Benzin, Diesel und Heizöl teurer machen – klingt nicht gerade populär und mehrheitsfähig.
Deshalb schlagen wir erstens vor, im Gegenzug die Stromsteuer auf ein Minimum zu senken, um die Verbraucher zu entlasten. Zudem könnte der Staat die Einnahmen aus der CO2-Steuer nicht nur einsetzen, um die emissionsarme Verkehrsinfrastruktur auszubauen, sondern auch einen Teil direkt an die Bürger zurückgeben. Um davon zu profitieren, müsste man kein Netto-Steuerzahler sein, jeder Bürger könnte einbezogen werden.
Klingt gut, aber wer sich ein dickes Auto leisten kann, wird auch mehr Geld für Sprit übrig haben. Es würde also noch mehr zur sozialen Frage, wer sich welches Auto leisten kann.
Eine Energiewende, die solche Fragen völlig vermeidet, wird es nicht geben können, denn sie definiert sich ja gerade aus der Einführung von Eigentumsrechten am Deponieraum der Atmosphäre. Die Idee, dafür einen einheitlichen Preis zu erheben, ist aber wenigstens vergleichsweise gerecht: Wer der Meinung ist, er müsse einen dicken SUV fahren, würde zumindest höhere Preise für dessen Nutzung zahlen. Und die genannten Kompensationsmaßnamen könnten dafür sorgen, dass trotz der Energiewende eine Umverteilung zuungunsten der Einkommensschwachen vermieden wird. Die bisherige Energiewendepolitik über das EEG war hingegen eine gigantische Umverteilungspolitik zugunsten von Haus- und Grundbesitzern und zu Lasten von Mietern, also von unten nach oben. Verteilungsgerechter war das nun wahrlich nicht.
Die soziale Schieflage wird beim Wohnen besonders sichtbar: Wer wenig verdient, wehrt sich mit Händen und Füßen gegen energetische Sanierungen, weil dann die Miete steigt.
Wir müssen beim Thema Häusersanierung den Diskurs über mögliche Zielkonflikte zwischen bezahlbarem Wohnen und Klimaschutz endlich offen führen. Wenn beides nicht gleichzeitig geht, muss die Politik sagen, was ihr wichtiger ist und die Bürger dann über diese Priorisierung an der Wahlurne entscheiden lassen.
Also lassen wir das mit der Häusersanierung – so wie der Branchenführer Vonovia, der seine Investitionen kappt, weil die Akzeptanz der Mieter fehlt?
Ich will das nicht moralisch bewerten, schon allein, weil mir für einzelwirtschaftliche Entscheidungen dieser Art zwangsläufig die Kenntnis der Details fehlt. Was ich aber sagen kann, ist, dass es sehr schwer sein wird, durch öffentliche Zuschüsse eine viel stärkere Sanierungsintensität herbeizuführen. Ohne einen CO2-Preis werden sich viele Maßnahmen von Dämmung über Heizungs- bis Fensteraustausch anhand der dadurch sinkenden Heizkosten nicht rechnen. Umso wichtiger ist es, jetzt diesen CO2-Preis einzuführen.
Herr Schmidt, Ihr Konzept ist europäisch gedacht. Werden nicht Länder wie Polen oder Ungarn alles blockieren, was fossile Brennstoffe und Kohlestrom verteuert?
Wir müssen zumindest mit einer nennenswerten europäischen Koalition starten und es letztlich zu einer globalen Angelegenheit machen. Dabei muss man versuchen, alle mitzunehmen. Es gibt durchaus Mechanismen, mit denen man Länder, die noch nicht so weit sind wie wir, nach ihren Möglichkeiten einbeziehen kann. So könnte Polen etwa mehr Emissionsrechte erhalten, andere Mitgliedstaaten der EU wie Deutschland dafür weniger. Wichtig ist, dass alle Länder im System sind und das gemeinsame Ziel teilen, möglichst rasch die Emissionen zu senken.
Besteht die Gefahr einer Renaissance des Atomstroms?
Solange die Nationen weltweit eigenständig über ihre Stromversorgung entscheiden, kann viel passieren. Gerade deshalb sollten wir die Energiewende bei uns so effizient und so kostengünstig wie möglich gestalten, damit möglichst wenige ausscheren.
>>> Info: RWI-Chef Schmidt und Klimaforscher Edenhofer plädieren für einen Mindestpreis im Rahmen des europäischen Emissionshandels (ETS) für den Ausstoß von CO2 – ab 2020 von 20 Euro je Tonne und bis 2030 von 35 Euro. Sollte ein europäischer Mindestpreis nicht durchsetzbar sein, solle Deutschland Mitstreiter suchen und als Übergangslösung eine nationale CO2-Steuer einführen, um die Differenz zum anvisierten Mindestpreis auszugleichen. Der Staat solle die Einnahmen daraus aber vollständig wieder ausgeben – für Infrastruktur emissionsarmer Verkehrsmittel und als direkte Rückzahlung an die Bürger. Damit wollen die Wissenschaftler Anreize für den Klimaschutz setzen, ohne den einzelnen Bürger zu überfordern.