Essen. Ungewöhnlicher Wechsel bei Thyssenkrupp: Aufsichtsratschefin Martina Merz führt übergangsweise den Vorstand. Guido Kerkhoff muss gehen.

Thyssenkrupp kommt nicht zur Ruhe und steht erneut vor einem Führungswechsel. Nach etwas mehr als einem Jahr an der Spitze soll Vorstandschef Guido Kerkhoff gehen und überraschend durch die bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Martina Merz abgelöst werden. Das teilte das Unternehmen in der Nacht zum Mittwoch mit.

Das Vorgehen ist ungewöhnlich: Präsidium und Personalausschuss des Aufsichtsrats empfahlen dem Kontrollgremium des Konzerns die personellen Veränderungen, wie Thyssenkrupp mitteilte. Demnach solle Martina Merz den Vorstandsvorsitz interimistisch für eine Amtszeit von maximal zwölf Monaten übernehmen.

Üblicherweise erhalten Vorstandschefs von Großkonzernen Verträge mit einer Laufzeit von drei oder fünf Jahren. Mit Kerkhoff solle über eine „zeitnahe Beendigung seines Vorstandsmandats“ gesprochen werden, erklärte das Unternehmen. Während der Entsendung von Martina Merz soll der frühere Siemens-Manager Siegfried Russwurm, der bereits Thyssenkrupp-Kontrolleur ist, übergangsweise die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden übernehmen.

Aufsichtsratschefin soll für Übergang den Vorstand führen

Der Personalausschuss empfiehlt dem Aufsichtsrat Unternehmensangaben zufolge außerdem, den Thyssenkrupp-Manager Klaus Keysberg ab Oktober als zusätzliches Mitglied des Konzernvorstands zu berufen. Keysberg soll sich um die Stahl- und Werkstoffgeschäfte kümmern.

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„Sobald der Vorstandsvorsitz neu besetzt wird, kehrt Martina Merz in den Aufsichtsrat zurück“, heißt es in einer vom Unternehmen verschickten Mitteilung.

Nach Informationen unserer Redaktion sind die Beschlüsse in den Konzerngremien einstimmig getroffen worden. Auch Vertreter der IG Metall haben dem Führungswechsel also zugestimmt.

Krupp-Stiftung und Cevian setzen auf Martina Merz

Die Großaktionäre Krupp-Stiftung mit Ursula Gather an der Spitze und der Finanzinvestor Cevian äußern sich am Mittwochmorgen in zwei kurz nacheinander verschickten Mitteilungen. Lars Förberg, Gründungspartner von Cevian, erklärt: „Wir unterstützen die Ernennung von Martina Merz zur Vorstandsvorsitzenden voll und ganz. Wir erwarten, dass die neue Führung den von Thyssenkrupp so dringend benötigten Transformationsprozess beschleunigen und die Qualität der Umsetzung maßgeblich verbessern wird.“ Das lässt sich auch als Kritik an Kerkhoff lesen.

Die Krupp-Stiftung kommentiert in knappen Worten: „Wir haben die Meldung zur Kenntnis genommen. Die weiteren Entscheidungen sind eine Sache des Aufsichtsrates. Martina Merz hat das volle Vertrauen der Stiftung.“

„Der Job macht mir Spaß, ich bin motiviert“

Bereits vor einigen Wochen war durchgesickert, dass Aufsichtsratsmitglieder über eine mögliche Ablösung von Guido Kerkhoff nachdenken. „Wissen Sie, mich totzuschreiben ist nicht besonders schwer, das kann ich sogar selber“, sagte Kerkhoff Mitte August in ungewöhnlicher Offenheit und schickte in einem Interview mit dem „Spiegel“ auch gleich einen lockeren Formulierungsvorschlag hinterher: „Der Kerl ist schon acht Jahre da, hat den Umschwung nicht geschafft und alle alten Entscheidungen mitgetragen, dazu ist er ein trockener Finanzer, und jetzt muss er schon wieder die Strategie ändern.“

Ob die Beschreibung denn falsch sei, hakten die Journalisten nach. Er versuche, „Perspektiven aufzuzeigen“, antwortete Kerkhoff darauf, „und wenn man mich nicht mehr will, dann soll man mir das sagen“. Kerkhoff zeigte sich zu diesem Zeitpunkt zugleich kämpferisch. „Der Job macht mir Spaß, ich bin motiviert“, sagte er. „Aber ich brauche keinen CEO-Posten in meinem Leben. Ich habe mir meine Unabhängigkeit erhalten, und die ist mir wichtig. Es gibt einen Guido Kerkhoff auch außerhalb von Thyssenkrupp.“

Aufzugsparte mit 53.000 Beschäftigten könnte verkauft werden

Der langjährige Thyssenkrupp-Finanzvorstand Kerkhoff war vor etwas mehr als einem Jahr eingesprungen, als sein Vorgänger Heinrich Hiesinger unter dem Druck aggressiver Investoren überraschend den Rückzug antrat. Kerkhoff trat zunächst als Interims-Chef an, später konnte er ausgestattet mit einem Fünf-Jahres-Vertrag agieren. Nun stehen Verhandlungen zur Auflösung des Vertrages an.

Möglicherweise spielte im Zusammenhang mit Kerkhoffs Ablösung auch die Frage eine Rolle, was aus der Aufzugsparte des Konzerns wird, die als Tafelsilber von Thyssenkrupp gilt. Kerkhoff hatte Pläne für einen Teil-Börsengang der Sparte bevorzugt. Auch ein Komplettverkauf des Bereichs mit mehr als 53.000 Beschäftigten gilt als möglich. Ein potenzieller Käufer steht schon vor der Tür und buhlt offen um die Sparte: der finnische Konzern Kone.

Angesichts der schwierigen Situation von Thyssenkrupp dürfe das Management nun keine Zeit verlieren, sagte ein Aufsichtsratsmitglied unserer Redaktion. Martina Merz sei eingearbeitet und könne die beschlossene Strategie konsequent umsetzen.