Essen. Thyssenkrupp steigt aus dem Dax ab. Das steht nun fest. Konzernchef Kerkhoff will nach vorne blicken. Großaktionär Krupp-Stiftung macht Druck.
Im Park der Essener Villa Hügel verfärben sich die ersten Blätter gelb und braun. Das Licht, das auf das einstige Wohnhaus der Unternehmerfamilie Krupp fällt, ist schon ein wenig herbstlich. Am Eingang der Villa weht die Fahne mit den drei Ringen zuweilen kräftig im Wind, dann hängt sie wieder schlapp vor sich hin. Im Inneren des Gebäudes erinnern derweil prächtige Gemälde an den Glanz vergangener Zeiten. Eine Ausstellung zur Firmenhistorie zieht auch an diesem Tag Besuchergruppen an. Eine Ausgabe des Magazins „Der Spiegel“ aus dem Jahr 1967 liegt unter Glas. „Krupp in Nöten“ heißt die Aufmacher-Geschichte. So ist es auch jetzt wieder.
Der Konzern schreibt Verluste. Der Abschwung belastet die Geschäfte mit Stahl, Autokomponenten und Industrieanlagen. Die Aktie ist abgestürzt, der Börsenwert des Thyssenkrupp-Konzerns massiv geschrumpft. Nun ist auch der Abstieg aus dem deutschen Leitindex Dax besiegelt. Eine entsprechende Mitteilung hat die Deutsche Börse am Mittwochabend veröffentlicht. Thyssenkrupp-Nachfolger ist der Triebwerkshersteller MTU Aero Engines.
Vorstandschef Kerkhoff spricht von Enttäuschung
Auch Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff geht offen mit der Zäsur um. „Dass uns der Abstieg aus dem Dax enttäuscht, steht außer Frage“, sagt er unumwunden. „Als Gründungsmitglied wären wir dem Leitindex gern erhalten geblieben. Man muss aber auch ehrlich sein: Unsere Performance war zu schwach, daher ist der Gang in den M-Dax die logische Konsequenz. Unser Blick geht jetzt aber nach vorn.“
Durch dem Dax-Abstieg werde „abgebildet, was in der Vergangenheit schiefgegangen ist“, konstatiert Ingo Speich von der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka. „Für die Aktionäre war es ein langer Leidensweg. Der Aktienkurs kannte zuletzt nur einen Weg: nach unten. Hier spiegelt sich ein gravierender Vertrauensverlust der Märkte wider.“
Ein Berg von Problemen im Konzern
Seit etwas mehr als einem Jahr steht der langjährige Thyssenkrupp-Finanzchef Kerkhoff an der Spitze des Essener Konzerns. Als sein Vorgänger Heinrich Hiesinger unter dem Druck aggressiver Investoren überraschend den Rückzug antrat, sprang Kerkhoff ein. Er hat es nun mit einem Berg von Problemen zu tun. Eine harte Sanierung steht an. „Wichtig ist, dass wir den Konzern jetzt neu und profitabler aufstellen, um so das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen“, sagt Kerkhoff. „Darauf liegt unser Fokus, daran arbeiten wir mit aller Kraft.“
Um die finanzielle Lage zu stabilisieren, steht ein Teil des Tafelsilbers zum Verkauf. Eine Trennung von der Aufzugsparte mit rund 53.000 Mitarbeitern rückt näher. Das Management habe in den vergangenen Tagen Briefe an potenzielle Interessenten geschrieben, in denen diese zur Abgabe eines Angebots für die Aufzugsparte aufgefordert worden seien, berichtet das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Branchenkreise.
Geld durch das Tafelsilber Aufzugsparte
„Durch Geld aus einem Börsengang oder einen Verkauf kann Thyssenkrupp die dringend erforderliche Handlungsfähigkeit zurückerlangen“, sagt Speich. Thyssenkrupp bestätigt, dass neben der Vorbereitung des Börsengangs Interessensbekundungen potenzieller Käufer geprüft würden. „Das tun wir gewissenhaft. Deshalb haben wir einen strukturierten Prozess für die Bewertung von Angeboten von strategischen Investoren und Finanzinvestoren eingeleitet.“ Damit geht das Management über die bisherige Ankündigung hinaus. Zunächst hat Kerkhoff den Börsengang favorisiert – mit einer Mehrheit bei Thyssenkrupp.
Als Hürde bei einem möglichen Verkauf der Aufzugsparte gilt die zu erwartende Prüfung durch Wettbewerbsbehörden. Thyssenkrupp-Konkurrenten wie Kone, Otis und Hitachi dürften Interesse an einer Übernahme haben, Auflagen der EU-Kommission wären aber wahrscheinlich. Zudem dürfte sich ein Abschluss des Geschäfts bei einem aufwändigen Prüfverfahren verzögern.
Krupp-Stiftung: Leistungssteigerung dringend erforderlich
Die Nachrichtenagentur Reuters hat bereits vor Wochen berichtet, dass die Finanzinvestoren KKR, CVC und Advent Interesse an einem Erwerb der Thyssenkrupp-Sparte haben. Auch die Namen von Apollo, Carlyle und EQT werden genannt. Viel Zeit dürfe das Thyssenkrupp-Management nicht verlieren, mahnt Speich: „Je größer der Druck für Thyssenkrupp wird, desto leichter hat es ein Käufer.“
Die Krupp-Stiftung – größter Einzelaktionär des Konzerns – demonstriert angesichts des Dax-Abstiegs Gelassenheit. „Für die Stiftung steht das Wohl des Unternehmens im Vordergrund – nicht, in welchem Index es gelistet ist“, wird auf Anfrage mitgeteilt. Zugleich spricht die Stiftung von einer „sehr herausfordernden Situation“ des Unternehmens. „Eine Leistungssteigerung ist dringend erforderlich.“ In den Ausstellungsräumen der Villa Hügel hängen eine Reihe von Zeitungsseiten, auf denen historische Ereignisse verewigt sind – die Übernahme von Hoesch durch Krupp und die Fusion mit Thyssen zum Beispiel. Es ist noch Platz für weitere Kapitel.