Essen. Das in Iberogast enthaltene Schöllkraut kann die Leber schädigen. Bayer hat sich jahrelang geweigert davor zu warnen. Nun prüft der Staatsanwalt.

Ein Fläschchen mit den bitteren Tropfen steht in so ziemlich jeder Hausapotheke, wird oft und gern genommen, wenn das Essen allzu schwer im Magen liegt oder aufstößt. Und auch der Werbereim ist PR-literarisches Allgemeingut: „Wird der Magen Dir zur Last? Iberogast!“ Nun beschert der Bayer-Topseller dem Chemie- und Pharmakonzern das nächste Problem mit hohem Potenzial, das Image weiter zu schädigen. Der Verdacht, Bayer habe zu spät vor möglichen Leberschäden durch Iberogast gewarnt, beschäftigt inzwischen die Staatsanwaltschaft Köln.

Das Verhalten von Bayer wird geprüft

Laut Handelsblatt ermittelt die Staatsanwaltschaft „im Umfeld des Konzerns“ wegen des Verdachts,

Bayer hätte mit früheren Warnungen „etliche Erkrankungen“ und sogar „einen Todesfall“ möglicherweise verhindern können. Auf Nachfrage wollte die Abteilung der Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen das weder bestätigen noch dementieren. Andere Quellen bestätigten dieser Zeitung aber, dass der Umgang von Bayer mit den Hinweisen zu Nebenwirkungen im Beipackzettel bei Iberogast geprüft werde. Der Konzern erklärte dazu am Abend auf Anfrage, aus der Presse von dem Ermittlungsverfahren erfahren zu haben, es richte sich „gegen Unbekannt“. Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens seien Bayer nicht bekannt.

Das Magenmittel Iberogast hat seit September 2018 einen neuen Beipackzettel mit Warnungen vor Leberschäden.
Das Magenmittel Iberogast hat seit September 2018 einen neuen Beipackzettel mit Warnungen vor Leberschäden. © imago/Arnulf Hettrich | imago stock

Iberogast ist frei verkäuflich, rein pflanzlich und als seit Jahrzehnten gebräuchliches Mittel eine verlässliche Einnahmequelle mit geschätzten 120 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Es hilft bei Sodbrennen, Magenschmerzen, Krämpfen, Übelkeit und Reizdarm. Als mögliche „sehr seltene“ Nebenwirkungen standen bis September 2018 nur Überempfindlichkeiten im Beipackzettel, etwa Ausschlag und Juckreiz. Kürzer sind diese Listen selten. Doch diese war zu kurz, fand das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) schon im Jahr 2008.

Für Schwangere und stillende Mütter verboten

Seinerzeit empfahl es dem später von Bayer übernommenen Iberogast-Hersteller Steigerwald, wegen des enthaltenen Schöllkrauts mögliche Leberschäden bis hin zum Leberversagen mit in die Liste der Nebenwirkungen aufzunehmen. Anders als andere Hersteller weigerte sich Steigerwald und später auch Bayer. Und das Institut hatte lange nichts in der Hand, was Leberschäden auch bei Kombinations-Präparaten mit geringem Schöllkraut-Gehalt rechtssicher belegen konnte.

Erst zehn Jahre später, am 27. September 2018, setzte Bayer die Änderungen im Beipackzettel „auf Drängen des BfArM um“, wie die Behörde mitteilte. Erst seitdem steht dort auch, Iberogast dürfe „von Schwangeren und Stillenden nicht eingenommen werden“. Gewarnt wird vor der Einnahme bei Leber-Vorerkrankungen und wenn nach der Einnahme erste Anzeichen wie gelbe haut oder Augen auftreten. Zugelassen ist die Arznei für Kinder ab drei Jahren.

Zwei Fälle von Leberversagen, einer tödlich

Warum Bayer im vergangenen Spätsommer nach jahrelanger Weigerung einlenkte? Das BfArM gibt als Grund für seinen im vergangenen Sommer massiv erhöhten Druck auf Bayer „neue bekannt gewordene Nebenwirkungsmeldungen von Leberschädigungen im Zusammenhang mit der Anwendung von Iberogast“ an. Darunter auch „ein im Juli 2018 bekannt gewordener zweiter Fall eines Leberversagens mit Lebertransplantation, der jedoch letztlich tödlich endete“. Ein erster, nicht tödlicher Fall war 2016 im „American Journal of Gastroenterology“ beschrieben worden. Daraufhin hatte das BfArM Anfang 2017 seine Forderung per „Widerspruchsbescheid“ noch einmal bekräftigt, Bayer wartete aber weitere anderthalb Jahre ab.

Bayer erklärte nun, den jüngsten Fall des Leberversagens nach der Einnahme von Iberogast „intensiv und umfassend analysiert“ zu haben. Das Leberversagen sei „höchstwahrscheinlich“ eine allergische Reaktion auf eine Substanz gewesen, die in der Stellungnahme nicht benannt wird. Solche Reaktionen seien „äußerst selten“, unabhängig von der Dosis und könnten „generell nicht ausgeschlossen werden“. Das Nutzen-Risiko-Profil von Iberogast sei „weiterhin positiv“.

Bayer-Chef Werner Baumann (links) und Aufsichtsratschef Werner Wenning bekamen auf der Hauptversammlung im April den Unmut ihrer Aktionäre zu spüren.
Bayer-Chef Werner Baumann (links) und Aufsichtsratschef Werner Wenning bekamen auf der Hauptversammlung im April den Unmut ihrer Aktionäre zu spüren. © dpa | Guido Kirchner

Als Auslöser der Leberschäden steht eines der neun enthaltenen Kräuter im dringenden Verdacht: das Schöllkraut. Nach der Jahrhundertwende setzte sich die Erkenntnis durch, dass Schöllkraut in hohen Dosen zu Leberversagen führen und besonders für werdende Mütter und ihre ungeborenen Kinder gefährlich werden kann. Das BfArM zog deshalb 2008 die Zulassung für Mittel auf Basis von Schöllkraut ganz zurück, zur „Abwehr von Gefahren durch Arzneimittel“, so der Titel des damaligen Dokuments. Schöllkraut-haltige Mittel mit geringeren Dosen bis 2,5 Milligramm Gesamtalkaloide pro Tag sollten Warnhinweise zu möglichen Leberschädigungen in ihre Beipackzettel aufnehmen. Steigerwald weigerte sich dagegen beharrlich, Bayer nach der Übernahme ebenso.

Serie von Negativ-Schlagzeilen

Das fällt dem Leverkusener Konzern nun zur Unzeit auf die Füße – Bayer kommt aus den Negativ-Schlagzeilen einfach nicht heraus: Seit Monaten machen die Glyphosat-Prozesse in den USA mit diversen Niederlagen für die Bayer-Tochter Monsanto dem Dax-Konzern schwer zu schaffen. Der Börsenwert hat sich nach der 59-Milliarden-Euro-Übernahme zwischenzeitlich fast halbiert. Aktuell ist das Leverkusener Traditionsunternehmen an der Börse nur noch gut 55 Milliarden Euro wert – weniger als es für Monsanto gezahlt hat.

Das Glyphosat-basierte Monsanto-Mittel Roundup steht im Verdacht, krebserregend zu sein.
Das Glyphosat-basierte Monsanto-Mittel Roundup steht im Verdacht, krebserregend zu sein. © dpa | Haven Daley

Wie derzeit alle unangenehmen Nachrichten kommen auch die Untersuchungen zu Iberogast für Bayer-Chef Werner Baumann mehr als ungelegen. Der Imageverlust durch Monsanto mit seinem auch in Europa hoch umstrittenen Glyphosat-Mittel Roundup ist bereits immens. Einen weiteres PR-Desaster durch das folgenschweres Vorenthalten möglicher Nebenwirkungen eines ihrer Topseller kann sich Bayer kaum leisten.

In den jüngsten Bilanzen war die Agrochemie trotz der Prozessflut gegen Monsanto in den USA und der in Europa 2022 auslaufenden Zulassung von Glyphosat noch das stabilste Geschäft. Nicht bilanzwirksam sind freilich die bisherigen Urteile mehrerer US-Gerichte, die Krebspatienten Schadenersatz in Milliardenhöhe zugesprochen haben. Und es harren dort noch rund 13.400 Klagen eines Richterspruchs. Bayer setzt auf die Berufungen und hofft, mit seinen Unbedenklichkeits-Studien durchzudringen.

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Iberogast ist eines der wichtigsten Mittel aus dem zuletzt stagnierenden Bereich „Consumer Health“ mit rezeptfreien Arzneien. Bayer verkaufte zuletzt weniger Aspirin, Bepanthen & Co in den USA und in Europa, wuchs nur noch in Asien und Lateinamerika. Der operative Gewinn der gesamten Sparte war rückläufig. Eine kleine Erfolgsmeldung konnte Bayer am Montagnachmittag dann doch noch platzieren: Zum angekündigten Verkauf der Fußpflege-Marke Dr. Scholl’s gibt es eine Einigung: Der US-Investmentfirma Yellow Wood zahlt 585 Millionen US-Dollar für Dr. Scholl’s.