Essen. Das Ruhrgebiet hinkt im Wettbewerb mit anderen deutschen und europäischen Großstadtregionen hinterher. Das ist das Ergebnis einer breit angelegten Studie, die das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des Initiativkreises Ruhr erstellt hat.

Karl Lichtblau hat jede Menge Zahlenkolonnen im Gepäck. Ebenso systematisch wie akribisch nahm der Chef des Kölner Instituts IW Consult das Ruhrgebiet unter die Lupe. Sehr unterschiedliche Datenquellen zapfte er an, um ein realistisches Bild von der Lage des Reviers zu erhalten. Lichtblau durchforstete Behörden- und Firmendatenbanken, studierte Staumeldungen oder Flugpläne, ließ Befragungen anfertigen. Das ernüchternde Ergebnis, das Lichtblau seinem Auftraggeber, dem Initiativkreis Ruhr, nun präsentierte: Das Ruhrgebiet hinkt vergleichbaren Regionen in Deutschland und Europa hinterher. Zuletzt ist das Revier sogar weiter zurückgefallen.

Zum zweiten Mal präsentierten die Forscher vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) den „Ruhr2030 Index”. Die breit angelegte Studie geht der Frage nach, wie gut sich das Ruhrgebiet im Vergleich mit den 40 größten deutschen Städten und den 15 wirtschaftsstärksten Regionen Europas behauptet. Als Ziel hat der Initiativkreis – ein Zusammenschluss von 60 führenden Unternehmen der Region – ausgegeben, dass sich das Revier im oberen Drittel bewegen sollte. Ganz bewusst wolle man sich an den Besten messen, sagt Initiativkreis-Geschäftsführer Peter Lampe. Spätestens im Jahr 2030 wolle man zur Top-Liga gehören. Noch allerdings erreicht die Ruhrregion dieses selbst gesteckte Ziel nicht.

Zwar habe sich das Revier in einigen Bereichen verbessert, die Fortschritte in den Vergleichsregionen seien aber noch größer gewesen, berichtete Lichtblau. So erzielt das Ruhrgebiet im aktuellen „Ruhr2030 Index” nur noch 48,4 Punkte (Vorjahr: 50,9). Die Zielmarke sind 100 Punkte, womit dann das beste Drittel der deutschen und europäischen Vergleichsregionen erreicht würde.

Defizite bei der Kinderbetreuung und in der Forschung

In der Kategorie „Exzellenz in Bildung und Forschung” verschlechterte sich das Revier von 44,0 auf nun 41,3 Punkte. Die Aufwendungen der Unternehmen für Forschung und Entwicklung seien unterdurchschnittlich. Bei der Betreuung für Kinder unter drei Jahren zählt das Ruhrgebiet der Studie zufolge zu den schlechtesten 20 Prozent der größten deutschen Städte.

Einen regelrechten Absturz gab es auf dem Feld Mobilität. Hier kam das Revier nur noch auf 44,6 Punkten – nach 64,3 im Vorjahr. Zwar wird die Flughafen-Anbindung als exzellent bewertet, doch im Bahn-Fernverkehr gibt es große Defizite. Auch in der Kategorie Staumeldungen gab es eine Verschlechterung. Hier befindet sich das Ruhrgebiet im letzten Drittel der Vergleichsregionen.

Auf einem anhaltend niedrigen Niveau befinden sich die Kennziffern im Bereich Lebens- und Arbeitsumfeld. Mit aktuell 29,2 Punkten (Vorjahr: 29,8) ist das Ruhrgebiet weit vom Ziel 100 Punkte entfernt. Das Revier weist zudem vergleichsweise schlechte Werte bei der Altersstruktur der Bevölkerung auf. Beim sogenannte Wanderungssaldo liegt das Revier im unteren Drittel der Vergleichsregionen. „Das Ruhrgebiet ist klar Abwanderungsregion”, sagte Lichtblau.

Kein klassisches Industriegebiet mehr

Verbesserungen verzeichnet der Ruhr-Index bei der wissensintensiven Beschäftigung. Auch auf dem Feld „moderne Politik” legt das Revier zu und erzielt nun 68,9 Punkte (Vorjahr: 64,8). Beim kulturellen Angebot schneidet das Ruhrgebiet gut ab.

Die Daten, die dem aktuellen Index zugrunde liegen, stammen überwiegend aus dem Jahr 2008. An ihnen lässt sich ablesen, wo das Revier in der Schlussphase des letzten konjunkturellen Aufschwungs stand. Immerhin: Für den „Ruhr2030 Index” im nächsten Jahr erwartet Lichtblau eine Trendwende, da andere Regionen stärker von der Wirtschaftskrise betroffen seien. Gegenden wie Bayern oder Baden-Württemberg litten stärker von Rückgängen beim Export als das Ruhrgebiet. Durch den hohen Anteil von Jobs auf dem Dienstleistungssektor werde die Krise im Revier abgefedert. „Dortmund hat einen Industrieanteil von 13 Prozent, so wenig wie kaum eine andere Großstadt”, gibt Lichtblau zu bedenken. Das Ruhrgebiet sei längst kein Industriegebiet im klassischen Sinne mehr. Potenziale bescheinigt die Studie dem Revier in den Bereichen Energie, Logistik und Werkstoffe.

Opel, Thyssen-Krupp und Nokia

In einzelnen Ruhr-Städten sei die Situation besonders angespannt, berichtet das IW. So leide Bochum unter der Opel-Krise und müsse den Weggang von Nokia sowie Produktionskürzungen bei Thyssen-Krupp verkraften. Duisburg spüre die Auftragsrückgänge in der wichtigen Logistikbranche.

Initiativkreis-Geschäftsführer Lampe sieht jedenfalls einen „riesigen Nachholbedarf” des Ruhrgebiets im Bereich der Infrastruktur. Lampe äußert die Hoffnung, dass der „Ruhr2030 Index” zum Nachdenken über Chancen und Risiken der Region anregt. Die Schlussfolgerung, die Lampe zieht, lautet: „Wir brauchen eine aktive Industriepolitik.”