Essen. . Beim Krupp-Nachfahren Friedrich von Bohlen und Halbach stößt der Strategiewechsel von Thyssenkrupp auf Skepsis. Er spricht von „Aktionismus“.

Vor der wichtigen Sitzung des Thyssenkrupp-Aufsichtsrats zur Zukunft des Unternehmens meldet sich Krupp-Nachfahre Friedrich von Bohlen und Halbach zu Wort. Im Interview mit Ulf Meinke zeigt sich der Enkel der einstigen Firmeneigentümerin Bertha Krupp besorgt um den Konzern. „Das Unternehmen erscheint orientierungslos“, sagt Friedrich von Bohlen und Halbach, der Mitglied im Familienrat der rund 85 Krupp-Nachfahren ist. „Das ganze letzte Jahr ist ein verlorenes Jahr gewesen. Die Firma steht wieder da, wo sie damals stand. In der heutigen, schnelllebigen Zeit ist das gefährlich.“

Thyssenkrupp begräbt die Pläne für die Stahlfusion und die Zweiteilung des Konzerns. Gefällt Ihnen das?

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Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff gestikuliert am 15.5.2019 während eines Interviews in der Zentrale in Essen. Foto: Lukas Schulze / FUNKE Foto Services
Von Andreas Tyrock, Ulf Meinke und Stefan Schulte

Friedrich von Bohlen und Halbach: Mit der geplanten Zweiteilung des Unternehmens hatten wir ein Problem, ganz klar. Es war der testamentarische Wille des letzten persönlichen Inhabers der Firma, die Einheit des Unternehmens zu sichern. So steht es auch in der Satzung der Krupp-Stiftung, die das Vermächtnis von Alfried Krupp wahren soll. Uns hat deshalb sehr irritiert, dass die Krupp-Stiftung die Pläne für eine Aufspaltung unterstützt hat. Nach unserer Auffassung wäre diese Unterstützung der Zweiteilung ein Fall für die Stiftungsaufsicht gewesen.

Sind Sie erleichtert, dass die Zweitteilung vom Tisch ist?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Um erleichtert zu sein, bedarf es mehr. Die Firma befindet sich nach wie vor in einer sehr schwierigen Situation. Vom Naturell her bin ich ein optimistischer Mensch, aber ich muss zugeben, dass bei mir derzeit die Skepsis überwiegt, wenn ich auf Thyssenkrupp schaue.

Warum?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Das Unternehmen erscheint orientierungslos. Es ist keine Zukunftsstrategie zu erkennen. Wesentliche Akteure wirken getrieben. Das Hin und Her der Aussagen ist atemberaubend. Vor wenigen Tagen sollte der Stahl noch ausgegliedert werden, jetzt steht er im Mittelpunkt. Die Aufzugsparte galt als Pfeiler der Zweiteilung, nun wird offen über Details eines Verkaufs gesprochen. Kurzum: Innerhalb weniger Stunden wurde die sogenannte Strategie des Konzerns atomisiert. So entsteht der Eindruck von Aktionismus. Das ist nicht überzeugend, das kann man besser machen.

Was halten Sie von der Idee, Thyssenkrupp als Holding, also wie eine Beteiligungsgesellschaft, zu führen?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Viel. Das entspricht der Anregung, die wir seit August letzten Jahres gemacht haben. Eine schlanke Industrie-Holding ähnlich Siemens macht in unseren Augen Sinn. Es ist dann wichtig, die jeweiligen Geschäftseinheiten zu stärken. Der Anspruch muss sein, mit den eigenständigen Einheiten in ihren jeweiligen Märkten zu den weltweit führenden Unternehmen zu gehören. Um das zu erreichen, muss jede Einheit ihre eigene Strategie haben, die mit der Holding abgestimmt und durch diese unterstützt wird. Das kann auch Börsengänge, Käufe, Verkäufe oder Verschmelzungen einschließen.

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An der Börse ist der Aktienkurs von Thyssenkrupp nach dem Strategieschwenk kräftig gestiegen. Glauben Sie, das hat nur mit dem angekündigten Abbau von 6000 Arbeitsplätzen zu tun?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Dass mit dem Strategieschwenk unmittelbar auch ein Stellenabbau verkündet wurde, ging mir jedenfalls zu schnell. Provokant formuliert kann man schon sagen, dass die Beschäftigten hier die Zeche für die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit zahlen müssen. Rationalisierungen sollten Ergebnis einer ganzheitlichen Analyse und verständlichen Vorwärts-Strategie sein, keine reaktive Not-Operation. Der Börsenkurs ist in der jetzigen Situation weder nachhaltig noch aussagekräftig. Strategie, Inhalte, klare Kommunikation und Umsetzung zählen, und die fehlen derzeit. Dann macht auch eine Diskussion zum Aktienkurs wieder Sinn.

Friedrich von Bohlen
Friedrich von Bohlen © Lars Heidrich

Haben Sie ein Erklärung für die schwierige Situation von Thyssenkrupp?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Ein Problem ist, dass von der Eigentümerseite zu wenig inhaltlicher Input kommt. Die Krupp-Stiftung müsste aktiv, kraftvoll und klar ihre Rolle als Ankeraktionärin ausfüllen, sie ist darin aber ein Totalausfall. Auch mehr als fünf Jahre nach dem Tod von Berthold Beitz…

…dem jahrzehntelangen Stiftungschef…

Friedrich von Bohlen und Halbach: … herrscht dort noch immer diese post-zentralistische Lähmung und Sinnfindung. Ich wünsche mir natürlich alles andere als den unzeitgemäßen autokratischen Stil von Beitz zurück. Die Firma und ihre Organe brauchen eine konstruktive Diskussions- und offene Konfliktkultur mit einem starken, souveränen, sich nicht durch Insignien, sondern durch Inhalte und unternehmerische Kompetenz definierenden und auszeichnenden Ankeraktionär. Doch davon ist nichts zu sehen. Die Stiftung ist nach wie vor zu passiv und mit sich selber beschäftigt, das schadet dem Unternehmen.

Es ist doch vor allem die Aufgabe des Konzernvorstands, die unternehmerischen Konzepte zu entwickeln.

Friedrich von Bohlen und Halbach: Ja, aber um heutzutage ein Unternehmen erfolgreich weiterentwickeln zu können, müssen alle wichtigen Akteure eingebunden werden und mit dieser gemeinsamen Strategie in eine Richtung marschieren wollen. Dazu gehören in der Konstellation bei Thyssenkrupp auch die Großaktionäre. An dieser Stelle vermisse ich jedenfalls aus meiner Distanz die dazu nötige Führerschaft und Stringenz. Es reicht nicht aus, und es ist keine Strategie, nur auf äußere Einflüsse zu reagieren. Eine Hoffnung ist für mich, dass die neue Thyssenkrupp-Aufsichtsratsvorsitzende Martina Merz offensichtlich erkannt hat, wie wichtig diese Voraussetzungen sind.

Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather (links), Thyssenkrupp-Vorstandschef Guido Kerkhoff und Aufsichtsratschefin Martina Merz Anfang Februar auf der Hauptversammlung in Bochum.
Krupp-Stiftungschefin Ursula Gather (links), Thyssenkrupp-Vorstandschef Guido Kerkhoff und Aufsichtsratschefin Martina Merz Anfang Februar auf der Hauptversammlung in Bochum. © Ralf Rottmann

In wichtigen Geschäftsbereichen will Thyssenkrupp neue Eigentümer mit ins Boot holen. Befürchten Sie einen Ausverkauf?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Die Gefahr besteht, aber unternehmerische Partnerschaften können durchaus die richtige Strategie sein. Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir Weltmarktführer werden? Hier gibt es drei Wege: aus eigener Kraft wachsen, Zukäufe oder Kooperationen. Ferner: Thyssen und Krupp waren in ihrer Zeit Innovationsführer, das Ruhrgebiet vergleichbar mit dem Silicon Valley. Der Pioniergeist hat der Region Wohlstand gebracht. Diese Tradition der Innovationen und des Aufbruchs, auch in Unbekanntes, die naturgemäß mit Veränderungen einhergeht, sollte auch im Unternehmen wiederbelebt und bewusst gemacht werden. Leider ist noch nicht erkennbar, wofür Thyssenkrupp in Zukunft stehen will. Diese Zukunft darf nicht defensiv und nicht reaktiv, sondern muss proaktiv, mutig und selbstbewusst definiert und formuliert werden.

Im vergangenen Geschäftsquartal hat Thyssenkrupp wieder rote Zahlen geschrieben. Hat das Unternehmen durch das Hin und Her Zeit und Kraft verloren?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Das ganze letzte Jahr ist ein verlorenes Jahr gewesen. Die Firma steht wieder da, wo sie damals stand. In der heutigen, schnelllebigen Zeit ist das gefährlich. Und das Unternehmen ist in einer finanziell schwierigen Situation. Umso wichtiger ist es, dass es nun in die Offensive kommt. Es ist keine Strategie, 6000 Stellen zu streichen und die Aufzugsparte zu Geld zu machen. Es stellt sich immer wieder dieselbe Frage: Wofür steht Thyssenkrupp heute und in Zukunft?

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Sie tragen weder in der Krupp-Stiftung noch im Unternehmen Verantwortung in einem Gremium. Mehr als eine Handvoll Thyssenkrupp-Aktien haben Sie auch nicht. Warum äußern Sie sich dennoch zur Entwicklung von Thyssenkrupp?

Friedrich von Bohlen und Halbach: Das Unternehmen und seine Beschäftigten liegen der Familie und jedem von uns sehr am Herzen. Geschichte verbindet, oft verpflichtet sie auch. Es ist mir nicht gleichgültig, wie es der Firma geht. Auch wenn wir als Familie keine formale Rolle haben, ist es uns wichtig, das Unternehmen konstruktiv und – wenn nötig – kritisch zu begleiten. Wir wollen ja eigentlich alle das Gleiche: Dass die Firma wieder stark und erfolgreich wird.