Essen. Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, hat vor einer Wiederholung der Finanzkrise gewarnt, die vor einem Jahr die Welt erschütterte. Ein Teil der Finanzelite habe nichts aus der großen Krise gelernt, kritisierte Schneider im Interview.
Präses Schneider, vor einem Jahr wurde die Welt von der Finanzkrise erschüttert. Haben wir aus der Krise gelernt, oder wird wieder kräftig weitergezockt?
Schneider: Beides passiert. Wir merken, dass es in der Politik und in der Finanzwirtschaft Bemühungen gibt, Konsequenzen aus der Krise zu ziehen. Dabei geht es um Maßnahmen, die verhindern, dass die Gier wieder Teil des Systems wird; dass Finanz-Produkte kontrolliert werden; dass bestimmte hochspekulative Geschäfte ausgeschlossen werden.
. . . aber Banker graben schon wieder hoch spekulative Papiere aus . . .
Schneider: Ja, auf der anderen Seite wird tatsächlich wieder polemisiert, das alles sei reine Regulierungswut. Das zeigt auch, wie hoch ideologisiert die ganze Diskussion ist. Und wir hören, dass einem kirchlichen Finanzdezernenten längst wieder diese merkwürdigen Zocker-Papiere angeboten worden sind. Da sind eine Menge Leute, die weitermachen wie vorher. Leute, bei denen die Krise nicht zu verantwortungsvollem Verhalten geführt hat, weil sie sagen: Ich weiß nicht, was ihr wollt, die Bankhäuser sind schließlich nicht zusammengebrochen, so schlimm war das doch nicht.
Wollen diese Leute nicht lernen?
Schneider: Sie wollen nicht lernen, weil es sich für sie nicht lohnt. Sie sind unbelehrbar.
Hat dieser Teil der Finanzelite den Bezug zu den Werten aufgegeben?
Schneider: Sie hat einen anderen Werte-Begriff als wir. Sie gehen davon aus, dass Werte allein materielle Werte sind, oder dass sie mit materiellen Werten unterlegt Mäzenatentum belegen kann. Aber auf der anderen Seite wäre es ein Zerrbild zu sagen, die gesamte Finanz-Industrie – das wären Euros oder Geldnoten mit Ohren dran. Der überwiegende Teil der Finanz-Manager hat eine hohe Ethik.
Wie kann der andere Teil der Finanz-Elite eingefangen werden?
Schneider: Ich erwarte von der Politik, dass sie ihnen Grenzen setzt, und ich erwarte, dass sie diese Grenzen auch durchsetzt.
Ist das denn bisher überhaupt geschehen?
Schneider: Nein. Aber wir sind ja auch erst am Anfang der Entwicklung zum Besseren – obwohl einige sagen, die Krise sei noch gar nicht beendet. Aber dennoch: Die Politik kann nur handeln, solange die Finanzwirtschaft sich gezwungen sieht, mitzuziehen. Die Politik wird die Möglichkeit zur Gestaltung dort nicht mehr haben, wenn die Zocker wieder die Oberhand gewinnen.
Wäre die Einführung einer Steuer auf internationale Börsengeschäfte, die auch kirchliche Gruppen fordern, eine Tobin Tax, richtig?
Schneider: Ich meine ja. Weil sie das spekulative Verhalten besteuert, auch die Spekulation mit Lebensmitteln und mit Erdöl. Der Erlös könnte dann – wenigstens zu einem kleinen Teil – zur Beseitigung der Schäden eingesetzt werden, den diese Spekulationen verursachen. Ich halte die Einführung der Tobin Tax für nötig.