Essen. RWI-Chef Christoph Schmidt schlägt eine City-Maut für das Revier vor. Damit könnten die Städte einen ÖPNV-Ausbau finanzieren.

Viele Entscheidungsträger im Ruhrgebiet atmen dieser Tage auf. Nicht weil die Luft besser geworden wäre, sondern weil die gefürchteten Fahrverbote für alte Diesel und sehr alte Benziner wohl verhindert werden können. Doch das Problem des alltäglichen Berufsverkehrs mit Staus auf den Autobahnen, verstopften Hauptstraßen in den Städten und der abendlichen Parkplatzsuche in den Wohnvierteln bleibt bestehen. Und der Druck auf die Politik, daran etwas zu ändern, ist mit der Abwehr der Fahrverbote wieder geringer geworden.

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Weil der innerstädtische Verkehr in den kommenden Jahren aber noch dichter werde, dürfe die Nutzung der Straßen auf Dauer nicht kostenlos bleiben, findet Christoph Schmidt. Er ist Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung und Vorsitzender des Sachverständigenrats. Deutschlands Wirtschaftsweise hatten der Regierung geraten, mit einer City-Maut in den Großstädten die Lage zu entspannen und so auch Fahrverbote zu verhindern. Schmidt, dessen Institut in Essen sitzt, schlägt nun das Ruhrgebiet als Vorreiter für eine City-Maut vor.

ÖPNV und Fahrradwege als Lösungsansätze

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Staus, Feinstaub- und Stickoxid-Belastungen, Gerichtsprozesse über Fahrverbote – all das seien Symptome desselben Problems: „Der Drang nach Mobilität in immer dichter besiedelten Städten ist die Ursache urbaner Verkehrsprobleme“, sagt Schmidt im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein attraktiver ÖPNV und bessere Fahrradwege könnten zur Linderung beitragen. Deshalb könnten die Städte ihre Einnahmen aus einer City-Maut für Autos dazu nutzen, ihre Bus- und Bahnnetze attraktiver oder günstiger zu machen und neue Radwege zu bauen. Wichtig sei aber auch, den Menschen bewusst zu machen, dass Mobilität einen mit der daraus resultierenden Umweltbelastung steigenden Preis hat.

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So wie bereits in vielen europäischen Städten. Besonders Skandinavien-Urlauber wissen das: In Norwegen und Schweden nehmen einige Städte seit langem Gebühren für die Nutzung ihrer Straßen. Bergen, zweitgrößte Stadt Norwegens mit knapp 300.000 Einwohnern, war 1985 die erste Stadt Europas, die Bau und Instandhaltung ihrer Straßen durch eine Maut finanzierte. In den Metropolen Oslo, Stockholm und Göteborg geht es mehr um die Vermeidung von Verkehr und Luftverschmutzung. So nimmt die norwegische Hauptstadt Oslo die höchsten Gebühren im Berufsverkehr von 6.30 bis 9 Uhr und 15 bis 17 Uhr. Diesel müssen zudem mehr zahlen als Benziner, E-Autos sind befreit.

Handwerker sollen Kosten an Kunden weitergeben

Die Bezahlmodelle reichen von an Tankstellen zu erwerbenden Tickets (in vielen italienischen Städten) über Nummernschilderfassungen in Skandinavien bis zur Online-Bezahlung in London.

Schmidt schlägt für das Ruhrgebiet ein digital gesteuertes System vor, das die Fahrten der einzelnen Autos erfasst und abrechnet. Er empfiehlt, mit niedrigen Preisen in ein solches Mautsystem einzusteigen und es über Jahre hinweg behutsam aufzubauen und weiter zu entwickeln.

Wichtig ist ihm, dass auch nicht zwingend der Autofahrer selbst letztlich die Zeche zahlen müsse. Handwerker etwa könnten sie ihren Kunden in Rechnung stellen. Und Geschäfte in der Innenstadt, die ihren Kunden ermöglichen wollen, mit dem Auto zu kommen, könnten die Maut beim Bezahlen verrechnen. So wie sie heute bereits häufig auch die Parktickets ihrer Kunden übernehmen.

Der RWI-Chef betont, eine Maut würde am besten im gesamten Ruhrgebiet gelten. Man kenne die Problemzonen, was Verkehr, Luftbelastung und Parkraum angehe – und die gingen über die Stadtgrenzen hinweg. Die Landesregierung solle als Moderator die Städte überzeugen, ein gemeinsames, intelligentes Mautsystem aufzubauen, das „für die nächsten 30, 40 Jahre hält“.

Schutz der Fahrer-Daten wichtig

Dafür schlägt Schmidt der Landesregierung vor, die City-Maut in ihre Ruhrkonferenz einzubringen. In diesem Rahmen haben NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) und Deutsche-Bahn-Vorstand Ronald Pofalla gerade erst das Themenforum „Neue Mobilität“ eröffnet. Dass sich alle Städte auf ein System einigen müssten, macht die Umsetzung nicht leichter. Schmidt hielte es für denkbar, die klammen Ruhrgebiets-Kommunen für ihre Teilnahme am Mautsystem mit Beiträgen zu ihrer Entschuldung zu belohnen.

Für die Umsetzung müssten die Städte eine gemeinsame Betreibergesellschaft gründen, die das Geld einnimmt und verteilt. Sie wäre auch für die Erfassung der Fahrzeuge zuständig. Und damit zugleich verantwortlich für den Schutz der persönlichen Daten der Autofahrer. „Die Privatheit muss gesichert sein, das ist die Grundvoraussetzung“, sagte Schmidt.