Der Wald im Rheinland wird zum Symbol für den Kampf gegen die Kohle. Leider verstellt das den Blick aufs Ganze. Eine kommentierende Einordnung
Bilder – jene auf den Bildschirmen und jene im Kopf – transportieren Nachrichten besser als Worte. Der Kampf um die Bäume im Hambacher Forst erinnerte an Brokdorf, prägte die Nachrichten diese Woche mehr als die leidlich komplizierte Debatte über den Braunkohleausstieg. Und der Gedanke an den jungen Journalisten, der von einer Hängebrücke zwischen den Baumhäusern in den Tod stürzte, hat die Debatte kurzzeitig zum Erliegen gebracht. Nun wird wieder demonstriert, doch die Verniedlichungsform „Hambi bleibt“ auf den Plakaten, Flugblättern und besprühten Stromkästen wirkt mit einem Mal schrecklich deplatziert.
Die Bäume in Hambach sind ein massentaugliches Symbol. Bürger aller Schichten setzen sich für den Erhalt von Wäldern und Bäumen in Parks und am Straßenrand ein. Bäume stehen wie keine zweite Pflanze für die Widerstandsfähigkeit der Natur. Sie schützen auch das Klima, weil sie große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) binden. Hätte die Erde mehr Wälder, würde sie sich nicht so erwärmen. Der Kampf um den Hambacher Forst ist damit doppelt symbolträchtig – klimaschützende Bäume sollen dem Braunkohletagebau weichen, der als größter Klimakiller gilt.
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Und doch ist es so einfach leider nicht. Hambach verstellt den Blick auf das große Ganze – den Kampf gegen den globalen Klimawandel und die schon lange nicht mehr vorbildliche deutsche Energiewende.
Kohle und Klima vertragen sich nicht
Klar ist: Kohle und Klima vertragen sich nicht. Wenn CO2 in die Atmosphäre geblasen wird, dann in aller Regel, weil irgendwo unten ein fossiler Brennstoff verfeuert wird – Kohle, Öl oder Gas. Die Weltgemeinschaft will sich deshalb – mit Ausnahme der Trump-USA – disziplinieren und hat verabredet, deutlich weniger Treibhausgase zu produzieren, damit die Erde sich um nicht mehr als 1,5 Grad erwärmt. Sonst würde es verdammt ungemütlich für unsere Kinder und Enkel. Ein Jahrhundertsommer nach dem anderen, mehr schwere Unwetter, Hurrikans, Sturmfluten und Überschwemmungen als jetzt schon. Verhindern will das jeder, aber nicht jeder gleich viel dafür tun.
Europa will seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 senken, Deutschland um 55 Prozent. Der Realitätscheck ist bitter: Sein erstes Ziel – 40 Prozent bis 2020 – verfehlt Deutschland krachend. Global kann von Einsparung noch gar keine Rede sein: 2017 wurde weltweit so viel CO2 ausgestoßen wie noch nie.
Der deutsche Zeigefinger sollte endlich unten bleiben
In Deutschland ätzen Funktionäre deshalb gern, wie dumm es sei, den Vorreiter zu spielen, wenn der Rest der Welt nicht mitspiele. Sie wissen aber: In aufstrebenden Ländern wie China, Indien oder Brasilien wäre es schon viel wert, wenn sie trotz Wachstums ihren CO2-Ausstoß stabilisieren. Hochentwickelte Industrieländer wie Deutschland sind am ehesten in der Lage, ihn zu senken. Und seit China bei den Klimagipfeln vorangeht statt bremst, kann der deutsche Zeigefinger unten bleiben.
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Der beste Zukunftsindikator ist das Geld. Das Ende des Kohlezeitalters ruft niemand so laut aus wie Versicherer und Finanzinvestoren. Sie ziehen ihr Geld aus der Kohle ab. Doch das Geld hat es leicht, es folgt einfach den großen Trends. Für Politik und Wirtschaft sind aber die Details entscheidend für eine erfolgreiche Klimapolitik auf der einen und das Überleben von Konzernen auf der anderen Seite.
Nicht einmal RWE zweifelt am Braunkohleausstieg
Was gern unterschlagen wird: In Deutschland zweifelt ja längst niemand mehr daran, dass wir aus der Braunkohle aussteigen müssen. Nicht einmal RWE als Deutschlands größter Kohleverstromer. Offen sind allein das Wie und das Wann. Dabei ist es ziemlich nebensächlich, wann der letzte Kohlemeiler vom Netz geht. Fürs Klima zählt allein, dass im Laufe der kommenden Jahre immer weniger Strom aus Kohle erzeugt wird. Der Weg ist weit wichtiger als das Ziel.
Für RWE ist entscheidend, seine Zukunft und die seiner Mitarbeiter endlich verlässlich planen zu können. Was für den Konzern wie für jeden Kioskbetreiber und Handwerker bedeutet, genug Geld zu verdienen. Entweder durch möglichst langen Betrieb der klimaschädlichen Kohlemeiler. Oder aber durch Entschädigungen dafür, dies nicht zu tun. An den Hambacher Forst hat RWE-Chef Rolf Martin Schmitz schon mal ein Preisschild geklebt: Ihn zu retten, koste vier bis fünf Milliarden Euro. Kein Politiker hat die Hand gehoben und gesagt: „Zahle ich.“ Damit wäre das Schicksal des Forstes auch schon besiegelt.
Der größte Fehler der Energiewende
Dass die Energiemanager in Deutschland mit dem Verbrennen von Braunkohle gutes Geld verdienen, kann ihnen vorwerfen, wer will. Es wirkt nur etwas bigott bei Menschen, die den Kapitalismus ansonsten als unsere Wirtschaftsform akzeptieren. Zumal absurderweise die von Rot-Grün auf den Weg gebrachte und den schwarz-gelben und schwarz-roten Nachfolgeregierungen verschlimmbesserte Energiewende die Braunkohle noch einmal richtig nach vorn gebracht hat.
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Warum? Die Fördergelder für den Ausbau des Ökostroms zahlen die Verbraucher über den Strompreis. Die Umlage sollte konventionell erzeugten Strom verteuern. Das hat sehr gut funktioniert – mit dem unschönen Nebeneffekt, dass die saubersten Gaskraftwerke wegen ihrer höheren Rohstoffkosten rasch unrentabel und deshalb reihenweise abgeschaltet wurden. So ist der Anteil des konventionellen Stroms zwar wie geplant Jahr für Jahr gesunken – nur dummerweise nicht der aus Braunkohle.
Bis auf Weiteres werden fossile Brennstoffe verfeuert
Da wir aus Sicherheits-Gründen bis 2022 unsere Kernkraftwerke abschalten, werden wir absehbar weiter Kohle und Gas verbrennen müssen, um stets Strom verfügbar zu haben, wenn Wind und Sonne mal zu schlapp sind. Die besonders schmutzig verbrennende Braunkohle sorgt derzeit für fast die Hälfte dieses so genannten Grundlaststroms. Man kann sie nicht mal eben abschalten, sondern muss einen klugen, fairen und sozialverträglichen Plan dafür entwickeln.
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Entscheidend für die Klimabilanz wird sein, wie wir den Übergang zur fast vollständigen Versorgung mit Ökostrom bis Mitte des Jahrhunderts gestalten. Der Markt regelt vieles, aber er sorgt sicher nicht dafür, dass die teuerste Art, Strom zu erzeugen, die billigste verdrängt. Will die Politik also möglichst sauber umsteigen, muss sie selbst aktiv umsteuern. Und weil sie damit in den Wirtschaftsbetrieb von Unternehmen eingreift, muss sie Geld in die Hand nehmen, viel Geld. Sie hat sich bisher darum gedrückt, ihre gesamte Energiewende mit einem ehrlichen Preis zu etikettieren. Verbunden mit der Frage, was es uns Bürgern wert ist, unseren Kindern und Enkeln ein erträgliches Klima zu hinterlassen, würden vielen aber ganz sicher auch große Milliardenbeträge sehr klein erscheinen.
Zur Ehrlichkeit gehört auch der Blick in den Spiegel
Letztlich gehört zur Ehrlichkeit auch ein beherzter Blick in den Spiegel. Die als Klimakiller verschrienen Stromerzeuger produzieren in der Tat die meisten Treibhausgase. Im Vergleich zu 1990 haben sie ihre Emissionen aber immerhin um ein gutes Viertel gesenkt. Derlei lässt sich vom Verkehr und der Heizenergie nicht berichten. Weil wir immer dickere Autos fahren und allzu oft in schlecht gedämmten Häusern wohnen.
Der öffentlichkeitswirksam zu verteidigende Hambacher Wald entscheidet nicht über unser künftiges Klima. Sondern ehrliche und mutige Entscheidungen der Bundesregierung sowie mehr Eigenverantwortung der Bürger. Dann kann Deutschland bei den Klimagipfeln auch wieder glaubwürdiger vorangehen, am besten ohne Zeigefinger.