Die Krupp-Nachfahren Diana Friz, Eckbert und Friedrich von Bohlen und Halbach äußern sich im WAZ-Interview zur Krise bei Thyssenkrupp.

Frau Friz, die Herren von Bohlen und Halbach, was denken Sie als Krupp-Nachfahren, wenn Sie heute auf den Konzern Thyssenkrupp blicken?

Diana Friz: Mir ist einfach nur zum Weinen zumute.

Eckbert von Bohlen und Halbach: Ich verspüre ein großes Gefühl der Trauer.
Friedrich von Bohlen und Halbach: Das Unternehmen liefert seit Jahrzehnten eine der schlechtesten Leistungen und Kursentwicklung eines Dax-Konzerns. Und die Stiftung als Inhaber und Nachfolger der Familie, zuletzt unseres Onkels Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, schaut zu. Es ist beschämend.

Die Stiftung schweigt zur Strategie des Konzerns im Detail ja bewusst und schon länger, der umstrittene Konzernumbau läuft seit Jahren. Warum melden Sie sich erst jetzt zu Wort?

Eckbert von Bohlen: Wir haben uns als Familienrat immer wieder zu Wort gemeldet, wurden aber nicht gehört ...
Diana Friz: ... man hat uns weggeschwiegen ...
Friedrich von Bohlen: ... wir haben uns seit fast vierzig Jahren geäußert – deutlich bis deutlichst. Öffentlich zuletzt 2013, kurz vor dem Tod von Herrn Beitz. Auch danach gab es Versuche der Kontaktaufnahme mit der Stiftung. Erfolglos.

Eckbert von Bohlen und Halbach.
Eckbert von Bohlen und Halbach. © Lars Heidrich

Aber Auslöser war der Doppelrücktritt von Konzernchef Hiesinger und Aufsichtsratschef Lehner, beide mit Verweis auf mangelnde Rückendeckung der Stiftung?

Eckbert von Bohlen: Ja, das war das Momentum. Die Führungskrise dauert ja an, der Konzern befindet sich in einer prekären Lage. Aber die Stiftung scheint nur zuzuschauen, obwohl sie jetzt eine Führungsrolle übernehmen müsste, um die Krise zu bewältigen.
Diana Friz: Wo hat es denn sowas schon mal gegeben, dass die beiden wichtigsten Manager gleichzeitig die Brocken hinwerfen, um den Hauptaktionär an den Pranger zu stellen? So weit hätte es nicht kommen dürfen. Die Stiftung erfüllt ihren Auftrag nicht, die Einheit des Unternehmens zu wahren.
Friedrich von Bohlen: Die Einheit zu wahren ist der unternehmerische Auftrag des Vermächtnisses. Auch die 155 000 Mitarbeiter warten zu Recht darauf, dass die Stiftung das endlich tut.

Was hätte Ihr Onkel getan?

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Diana Friz: Onkel Alfried hätte die Probleme sehr früh beim Namen genannt und versucht, sie zu lösen. Auf keinen Fall hätte er einfach abgewartet und gehofft, dass sie sich von alleine erledigen.
Friedrich von Bohlen: Eigentümer müssen immer und vor allem in einer Krise deutlich sagen, wie sie sich die Zukunft vorstellen und die Richtung vorgeben. Die Finanzinvestoren tun das fast jeden Tag. Es fehlt der Stiftung an unternehmerischer Kompetenz und anscheinend auch an Mut.

Was wollen Sie tun? Der Stifter, Ihr Onkel Alfried, hat die Firma aber doch bewusst der Stiftung überschrieben und die Familie außen vor gehalten.

Eckbert von Bohlen: Durch Satzung des 1943 konstituierten Familienunternehmens Fried. Krupp wurde der Familienrat gegründet, um die Familie über die Geschäfte auf dem Laufenden zu halten und beratend anzuhören. Wir wollen konstruktiv helfen und unterstützen. Mehr nicht.


Diana Friz: Leider konnte unser Onkel die Satzung für die Stiftung nicht mehr selbst verfassen. Das hat Beitz nach dem Tod von Alfried getan. Beitz hat alles getan, damit die Familie außen vor bleibt und ihr das legitime Recht verweigert, über die Verwendung der Gelder informiert zu werden, die unsere Vorfahren erwirtschaftet haben. Wir haben dagegen geklagt, leider ohne Erfolg.

Diana Friz
Diana Friz © Lars Heidrich

Ihre Kritik an Beitz hört in Essen nicht jeder gern. Wollen Sie sein Denkmal vom Hügel stürzen?

Eckbert von Bohlen (lächelt): Keine Angst, wir wollen nicht den Hügel erstürmen.
Diana Friz: Wir wollen sein Denkmal nicht stürzen, nur etwas zurecht rücken. Beitz hatte eine klare Strategie: sich selbst. Er hat viele Menschen großzügig bedacht – wo ich auch hinreise, steht ein Beitz-Denkmal. Er hat autokratisch regiert und sich ein Umfeld aus Ja-Sagern geschaffen.

Was wollen Sie mit Ihrer Kritik erreichen – und wie?

Eckbert von Bohlen: Wir streben weder Macht noch Geld an. Wir wollen wach rütteln und beratend dabei helfen, dass die Stiftung ihre Aufgabe wahrnimmt, das Unternehmen positiv zu entwickeln. Immerhin trägt die Stiftung zum Teil unseren Namen.


Friedrich von Bohlen: Wir schauen nach vorne. Ich sehe in dieser Krise eine große Chance. Für die Stiftung und für Thyssenkrupp. Um beide modern aufzustellen, zu positionieren und zu strukturieren. Das mag weh tun – aber sonst tut es noch viel mehr weh.


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Diana Friz: Beitz hat sich ein Schönwetter-Kuratorium zusammen gebastelt. Lauter honorige Damen und Herren, die profunde Ideen haben, wie sie das Geld ausgeben können, das die Stiftung gar nicht übrig hat. Indem sie Vermögen der Familie vernichtet, das die Beschäftigten erwirtschaftet haben, entzieht die Stiftung der Firma, und damit den Mitarbeitern, Gelder, die diese für ihr operatives Geschäft benötigen.

Das ist ein sehr harter Vorwurf, können Sie ihn belegen?

Diana Friz (reicht ein Dokument über den Tisch): Ich habe das Testament von Alfried mitgebracht, lesen Sie selbst. Die Stiftung soll mit den „Erträgnissen“ philanthropische Zwecke fördern, aber eben nicht aus dem Vermögen. Es ärgert mich, dass Herr Beitz vergöttert wird, obwohl er nur das Geld und Vermögen verteilt hat, das die Familie gemeinsam mit den Kruppianern über fünf Generationen erarbeitet haben.


Friedrich von Bohlen: Ihr Vermögen gibt die Stiftung derzeit mit 1,1 Milliarden Euro an. Als der Iran 1976 investierte war die Firma mit 2,7 Milliarden DM bewertet. Hinzu kamen damals noch andere große Vermögenswerte, wie eine Beteiligung an Hoesch. 1976 waren also mindestens 1,4 Milliarden Euro Werte in der Stiftung. Davon fehlt ja schon mal was. Ferner: wieviel Vermögen könnte und müsste es heute sein, wenn man diese 1,4 Milliarden Euro 40 Jahre lang treuhänderisch verantwortungsvoll bewirtschaftet hätte? Da fehlen einem die Worte.


Eckbert von Bohlen: Die Stiftung ist völlig intransparent und viele Entscheidungen sind für uns nicht nachvollziehbar. Unser Problem mit den Nachweisen ist, dass die Krupp-Stiftung als eine von ganz wenigen in Deutschland ihre Finanzen nicht offenlegt. Es wäre an der Stiftungsaufsicht, das einzufordern.

Friedrich von Bohlen und Halbach.
Friedrich von Bohlen und Halbach. © Lars Heidrich

Wir fassen zusammen: Sie wollen von der Stiftung informiert werden und sie beraten. Frau Gather, der sie unternehmerische Kompetenz absprechen und Untätigkeit vorwerfen, spricht aber nicht mit Ihnen. Also sollte Frau Gather aus Ihrer Sicht zurücktreten?

Friedrich von Bohlen: Uns ist wichtig, sachliche nicht mit persönlicher Kritik zu vermischen. Wir kennen Frau Gather nicht persönlich. Sie ist Rektorin der TU Dortmund, das ist ein Vollzeit-Job. Sie ist Vorsitzende des Kuratoriums, sie ist im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp und sie hat keine unternehmerische Erfahrung. Sie müsste eigentlich selber erkennen, was das bedeutet.
Diana Friz: Wir sollten nicht nur auf Frau Gather schauen, das gesamte Kuratorium steht in der Verantwortung für dieses Desaster.
Friedrich von Bohlen: Die Krupp-Stiftung und den Vatikan verbindet, dass freiwillige Rücktritte sehr selten sind.

Was denken Sie eigentlich darüber, dass Thyssenkrupp gerade seine Keimzelle, den Stahl ausgliedert?

Diana Friz: Das lässt mich nicht kalt. Ob es aber strategisch notwendig war, kann und will ich nicht bewerten.

Eckbert von Bohlen: Märkte und Gegebenheiten für Unternehmen sind einem ständigen Wandel unterworfen. Wenn ein Unternehmensteil abgestoßen werden muss und dadurch Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren, sollte die Stiftung aber überlegen, ob und wie sie ihnen und ihren Familien helfen kann. Wir können keine Ratschläge für das operative Geschäft geben, dafür kennen wir zu wenige Details. Wir wollen aber eine Stiftung, die dazu in der Lage ist. Eine Stiftung, die mehr Nähe zum Unternehmen zu den Mitarbeitern und zur Region zeigt.

Friedrich v. Bohlen: Veränderung muss im und am Kopf beginnen. Elf Kuratoriumsmitglieder erscheinen mir zu viel und zu teuer. Warum nicht sechs Mitglieder, drei Persönlichkeiten mit unternehmerischer Expertise und drei Experten für die philanthropische Verwendung der Gelder? Der Vorsitz sollte unternehmerisch sein, denn ich kann nur Gelder verteilen, die ich erwirtschaftet habe.

Die Stiftung hat auf ihre Startseite den Satz Ihres Onkels gestellt: „Vorstellungen einer falsch verstandenen Tradition dürfen uns nicht hindern, zu neuen Wegen zu finden.“ Ist es am Ende egal, womit Thyssenkrupp sein Geld verdient?

Eckbert von Bohlen: Der Satz steht dort noch nicht so lange, er passt natürlich zum Abschied vom Stahl. Aber wenn Sie so wollen – ja, im Grunde ist das zweitrangig, solange man ein Geschäftsmodell findet, das die Einheit des Unternehmens für die weitere Zukunft erhält.

Diana Friz: Mit Einheit meinen wir den Zusammenhalt zwischen starker Eigentümerschaft, dem Management und den Mitarbeitern. Thyssenkrupp darf kein Ziel für Finanz-Aktivismus sein. Im Moment ist der Konzern aber genau das, weil er durch seine schlechte Performance und mangelndes Vertrauen von Anlegern an der Börse weniger wert ist als die Summe seiner Einzelteile. In einer derart akuten Notlage darf die Stiftung einfach nicht schweigen. Das ist feige.


Friedrich von Bohlen: Wir können die Unternehmensstrategie nicht beurteilen. Was die Stiftung aber nicht wollen sollte: dass Konzernteile wie die Aufzugssparte nur deshalb verkauft werden sollen, weil die Sparte mehr wert ist als der derzeitige Börsenwert von Thyssenkrupp. Der Konzern braucht eine Vorwärts-Strategie. Krupp war fast immer führend in dem, was es tat. Das Unternehmen muss wieder werden was es immer war: ein moderner Technologiekonzern.

Die Krupp-Nachfahren im Gespräch mit Alexander Marinos, stellv. Chefredakteur der WAZ.
Die Krupp-Nachfahren im Gespräch mit Alexander Marinos, stellv. Chefredakteur der WAZ. © Lars Heidrich

Aufgabe der Stiftung ist es aber auch, gemeinnützige Zwecke zu fördern. Wird das Geld gut angelegt?

Eckbert von Bohlen: Das wissen wir nicht. Die Stiftung ist intransparent. Seit 1967 hat sie nach eigenen Angaben 665 Millionen Euro an Fördermitteln bewilligt, im vergangenen Jahr fünf Millionen Förderaufwendungen. Wofür, das wissen wir nicht. Es wäre viel gewonnen, wenn die Stiftung nur Geld ausgibt, das sie eingenommen hat. Und auch das sollte sie vielleicht zunächst einmal zurücklegen, um kommende Kapitalerhöhungen bei Thyssenkrupp mittragen zu können. Es fehlt an einer klar umrissenen, langfristigen Strategie.


Diana Friz: Das hat sie schon zweimal nicht getan und droht weiter an Bedeutung zu verlieren. Ziel müsste es sein, wieder eine Sperrminorität von 25 Prozent zu erlangen. Onkel Alfried hat in den schwierigen 50er Jahren zuerst die Renten der Mitarbeiter bezahlt, bevor er Geld für seine privaten Zwecke nahm. Die jeweiligen Inhaber der Firma und die Familie haben immer zurückgesteckt, wenn es der Firma schlecht ging. Diesen Grundsatz sollte auch die Stiftung beherzigen. Wie schon beschrieben hat sie zu lange von der Substanz gelebt – das ist Missachtung des testamentarischen Auftrags und Raubbau am Firmenvermögen. Unfassbar!

Beitz hat sich auch um seine Heimat gekümmert, in Greifswald gibt es einen Krupp-Wissenschaftskolleg. Sollte mehr Geld ins Ruhrgebiet fließen?

Friedrich von Bohlen: Wenn Geld da ist – unbedingt. Statt Seenotkreuzer an der Ostsee zu finanzieren, wäre es sinnvoller, Geld hier in die Region zu stecken, in der die meisten Mitarbeiter leben.

Hätten Sie konkrete Ideen?

Friedrich von Bohlen (lacht): Aber ja – ich bin immer schon Fan von Rot-Weiss Essen und leide unter der Viertklassigkeit, die diese Stadt und ihre Fans nicht verdient haben. Warum sollte die Stiftung nicht auch in das Kulturgut Fußball investieren? Die meisten Fans sind oder kennen Kruppianer. Aber abgesehen von RWE: wirklich wichtig ist, die Gelder generell und gerade in diesen schwierigen Zeiten vor allem in der und für die Region einzusetzen.
Diana Friz: Mir wäre wichtig, dass die Gelder nah am Umfeld der Firma und seiner Mitarbeiter investiert werden. Vor allem im Ruhrgebiet, aber nicht nur. Ein Beispiel: Bei Koblenz gibt es die Sayner Hütte, eine wunderschöne Produktionshalle von 1870 im Originalzustand, erbaut von Krupp. Dort kratzen Fördervereine das Geld mühsam zusammen, um das historische Schmuckstück zu erhalten. Die Stiftung gibt keinen Cent.