Witten. . Katalysator-Spezialist Twintec hat eine Nachrüst-Lösung für Diesel-Pkw entwickelt: Der Stickoxidausstoß sinkt bei älteren Autos unter EU6-Wert.

15 Millionen Pkw mit Dieselmotor listet die Statistik für Deutschland auf. Nur zwei einzelne Autos aus dieser riesigen Flotte erfüllen nachweislich im Alltagsbetrieb die für Neuwagen geltenden Grenzwerte für das gesundheitsgefährdenden Stickoxid-Gase nach der aktuell strengsten Abgasnorm EU6. Der zweite (neben einem jüngst speziell von Daimler vorbereiteten neuen Mercedes) ist ein drei Jahre alter VW Passat, den die Entwicklungsabteilung des Katalysator-Spezialisten Twintec in Witten nachgerüstet hat. Das System könnte dem sparsamen Dieselmotor den Weg in die Zukunft ebnen – für 1500 Euro pro Stück.

In der Reserveradmulde des Passat wird der Harnstoff-Tank untergebracht. Die Steuergeräte daneben würden bei einer Serienfertigung verschwinden.
In der Reserveradmulde des Passat wird der Harnstoff-Tank untergebracht. Die Steuergeräte daneben würden bei einer Serienfertigung verschwinden. © MATTHIAS GRABEN

Kern des Dieselskandals ist, dass nicht nur bei Diesel-Pkw aus dem VW-Konzern die mit Harnstoff betriebene Stickoxid-Reinigung, die sogenannte SCR-Technik, während der Fahrt fast immer abgeschaltet ist und nur bei Prüfstandläufen aktiviert wird. Ab September müssen neu auf den Markt kommende Pkw-Modelle die Grenzwerte statt im Labor im realen Betrieb einhalten – nach dem englischen Begriff „Real Driving Experience“ abgekürzt RDE.

Das Entgegenkommen des EU-Gesetzgebers an die Automobilhersteller: Beim RDE-Test darf der Grenzwert von 80 Milligramm Stickoxid-Ausstoß pro Kilometer um den Faktor 2,1 überschritten werden. Allen in den Verkehr kommenden Neuwagen wird dies erst ab 2019 vorgeschrieben.

Reinigung vom ersten Kilometer an

Zurzeit stoßen Neuwagen, die auf dem Papier die Norm EU6 erfüllen, im RDE-Test im Schnitt über 500 mg/km aus. Beim VW Passat von Twintec, der eigentlich nur die Norm EU5 erfüllt, sind es laut ADAC-Test lediglich 69 mg/km.

Die Entwickler in Witten haben die aufwendigere Abgasreinigung aus dem Nutzfahrzeugbereich angepasst und miniaturisiert. Herzstück des Systems ist ein elektrisch beheizter Verdampfer, in dem der Harnstoff (chemisch Ammoniak) erhitzt wird. Sonst wird er flüssig eingespritzt. Deshalb setzt die Reinigung nicht erst dann ein, wenn der Motor warm ist, sondern bereits vom ersten Kilometer an. Neben dem Verdampfer setzt Twintec beim Passat ausschließlich Komponenten aus dem Bauteile-regal von VW ein, plus einer selbst entwickelten Software.

Was sich so einfach anhört, setzt in der Umsetzung jede Menge Know-how voraus. Twintec entwickelt seit über 20 Jahren im Ruhrgebiet und seit 2014 in Witten, weil viele wichtige Mitarbeiter aus den Nachbarstädten stammen. Geschäftsführer Hennig Middelmann hatte 2004 bei einer Daimler-Tochter in Unna an der Umsetzung der neuen SCR-Technik für mobile Anwendungen mitgearbeitet. „Früher war ein Lkw so dreckig wie 20 Diesel-Pkw,“ sagt der 50-Jährige, „heute ist es umgekehrt.“

Mindestens genauso schwer wie die technische Entwicklung ist die Vermarktung eines solchen Nachrüstsystems. Neue Typzulassungen müssten erwirkt werden. Mögliche Fahrverbote für Diesel gelten für nachgerüstete Wagen nur, wenn sich auch die Typschlüssel ändern, ein aufwendiges bürokratisches Verfahren. Sonst könnte es bei einem Fahrverbot selbst für den sauberen Passat aus Witten heißen: Wir müssen draußen bleiben aus der Umweltzone Ruhrgebiet.

Es bleibt die Frage der Kosten

1500 Euro plus Einbau gibt Middelmann als Kosten für das System an. Würde der etwa 200 Euro teure Verdampfer bereits ab Werk eingebaut, dürfte es viel billiger werden. Bei der flächendeckenden Einführung von Dieselruß-Partikelfiltern hatten sich die Kosten in kurzer Zeit mehr als halbiert.

Vor zehn Jahren wurde die Nachrüstung von Pkw mit Dieselpartikelfiltern mit 330 Euro gefördert. Dafür ist wegen des größeren Aufwands die Twintec-Technik auch bei höheren Stückzahlen nicht zu haben. Die Autobauer setzen bislang auf billige Software-Updates, für die gut drei Millionen EU6- und besonders für die sechs Millionen EU5-Diesel in Deutschland. Kein Update hat jedoch bislang den RDE-Test nur annähernd erfüllt.