Berlin. Gefahr auf der Schiene: In Deutschland sind offenbar tausende Güterzüge mit Sicherheitsmängeln unterwegs. Das Eisenbahnbundesamt fand einem Medienbericht zufolge bei Stichproben Mängel an fast jedem fünften Fahrzeug.

Auf Deutschland Schienen sind offenbar Tausende von Güterwaggons unterwegs, deren Radsätze sicherheitsrelevante Mängel aufweisen. Nach einem Bericht der ARD vom Montag (21 Uhr: «Endstation Chaos. Die Bahn auf gefährlichem Kurs») stellte das Eisenbahnbundesamt (EBA) Anfang September bei einer bundesweiten Kontrolle bei knapp 20 Prozent von etwa 4450 überprüften Waggons «sicherheitsrelevante Mängel» an den Radsätzen fest. Sie wiesen dem Bericht zufolge Schleifspuren, Kerben oder Korrosionsschäden auf. Die Waggons hätten auf Weisung des EBA entladen und in Werkstätten gebracht werden müssen. Ein Behördensprecher bestätigte lediglich, dass bei der Kontrolle Mängel festgestellt wurden.

Insgesamt sind in Deutschland nach Expertenschätzungen weit mehr als 100 000 Güterwaggons unterwegs. Dennoch war die Kontrolle nach Angaben von Behördeninsidern die erste ihrer Art seit der Gründung des EBA im Jahr 1994. Experten kritisieren die Konstruktion und Ausrichtung der Behörde und fordern die Einführung eines Eisenbahn-TÜVs.

Waggon entgleist und explodiert

Anlass für die Sicherheitskontrolle war ein schwerer Güterzugunfall im italienischen Viareggio im vergangenen Juni. Dort war wegen einer gebrochenen Radsatzwelle ein mit Flüssiggas beladener Waggon entgleist und explodiert. Mehr als 20 Menschen starben. In der Folge hatte das EBA Mitte Juli in Bonn eine Anhörung von Eisenbahnunternehmen und Verbänden angesetzt. Deren Darstellung zum Thema «Brüche von Güterwagen-Radsatzwellen» war für die Aufsichtsbehörde offenbar wenig überzeugend. In einem amtlichen Schreiben vom 31. Juli an die Aufsichts- und Genehmigungsbehörden der Länder heißt es: »Das Eisenbahnbundesamt hat aufgrund der Sachverhaltsdarstellung begründete Zweifel, ob die Halter ihrer Verantwortung . . . Fahrzeuge in betriebssicherem Zustand zu halten, in ausreichendem Umfang nachkommen.«

Die Kontrolle, bei der einer internen Anweisung zufolge »soviel Radsätze wie möglich« überprüft werden sollten, bestätigte diese Zweifel offenbar. Bemerkenswert ist, dass das EBA in den 15 Jahren seines Bestehens zuvor nie eine vergleichbare Aktion durchgeführt hat. Das Amt hat zwar grundsätzlich das Recht, Züge »am rollenden Rad«, also im laufenden Betrieb, zu prüfen. Dies aber ist in der Praxis - abgesehen von Gefahrguttransporten - nicht vorgesehen, erklärte ein EBA-Fachmann: »Bei uns gibt es lediglich eine Handvoll Mitarbeiter, die in die Werkstätten gehen und dort prüfen, ob deren Ausstattung und Organisation in Ordnung ist. Mehr ist nicht möglich.«

Eigenverantwortung ist gefragt

Der Eisenbahnrechtler und frühere EBA-Justitiar Hans-Jürgen Kühlwetter verweist in der ARD darauf, dass die Prüfung der Fahrzeugsicherheit im Schienenverkehr weitgehend nach dem Motto Eigenverantwortung organisiert ist. Eine mit dem TÜV vergleichbare Kontrollinstanz gebe es im Bahnbereich nicht: »Dort ist die Überprüfung des Fahrzeugs Sache des Betreibers. Des Privatmannes. Was er genau tun soll, ist im Recht nicht genau vorgeschrieben.« Der Betreiber solle zwar die sicherheitsrelevanten Teile prüfen. Aber was er im Einzelnen tun solle, sei rechtlich nicht vorgeschrieben.»

Diese, auf dem Vertrauen gegenüber den Betreibern beruhende, Regelung stellt Kühlwetter angesichts der veränderten Rahmenbedingungen in der Wirtschaft in Frage: «Die Unternehmen stehen heute unter erheblichem finanziellen Druck. Das bedeutet, dass sie Kompetenzen für Überprüfungen unter Umständen einsparen», sagt Kühlwetter. Die Überprüfungen würden offensichtlich nicht mehr mit der Intensität vorgenommen, wie sie vorgenommen werden müssten. Deshalb fordert der Eisenbahnrechtler zu überlegen, «ob man nicht wieder zum Staat zurückkehrt und diese Revisionen, genauso wie im Autobereich, unter staatliche Aufsicht stellt«.

Auch der Grünen-Verkehrsexperte Anton Hofreiter fordert eine Neuausrichtung des EBA. »Es muss unabhängiger strukturiert werden. Es ist schlecht für die Kontrolle, wenn die für die Deutsche Bahn zuständige Aufsichtsbehörde dem Verkehrsministerium unterstellt ist, in dessen Verantwortung wiederum die Deutsche Bahn AG liegt. Das Eisenbahnbundesamt sollte außerhalb des Verkehrsministeriums angesiedelt werden.« (ddp)