Düsseldorf. . Die Gewerkschaft warnt vor niedrigen Renten für die meist weiblichen 5,1 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel. Kampagne gegen Tarifflucht.
Kurz vor dem Beginn der Tarifverhandlungen im deutschen Einzelhandel warnt die Gewerkschaft Verdi vor wachsender Altersarmut unter den mehr als fünf Millionen Beschäftigten, die zu 70 Prozent Frauen sind. „Der Handel ist die Branche mit dem größten Altersarmutsrisiko“, sagte Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger vor Journalisten in Düsseldorf.
Nach Berechnungen der Gewerkschaft verdient eine gelernte Verkäuferin in der tariflichen Endstufe in Vollzeit zwischen 2400 und 2500 Euro brutto pro Monat. Auf dem Niveau des Jahres 2016 erhält sie eine Rente von 901 Euro. Wer ein mittleres Monatseinkommen von 1500 Euro erhält, landet im Ruhestand bei nur 541 Euro. Beschäftigte aus Unternehmen, die nicht nach dem Flächentarifvertrag für den Einzelhandel zahlen, liegen im Alter noch darunter.
Nur 30 Prozent der Unternehmen zahlen nach Tarif
Ein Grund für das Altersarmutsrisiko seien geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Nur noch ein Drittel der Verkäuferinnen haben Vollzeitstellen. Damit die Beschäftigten dennoch über die Runden kommen, hätten die Steuerzahler durch Aufstockungen der Gehälter mit öffentlichen Mitteln in Höhe von 1,5 Milliarden Euro allein im Jahr 2014 die Branche subventioniert, so Verdi.
„Wenn wir die Altersarmut stoppen wollen, müssen wir die Tarifflucht stoppen“, sagt Verdi-Vorstand Nutzenberger. Denn nur noch 30 Prozent der Unternehmen zahlen nach Tarif. 2010 betrug der Anteil nach Verdi-Angaben noch 41 Prozent. Im Groß- und Außenhandel seien es nur noch 21 Prozent. In jüngerer Vergangenheit hatte Verdi erfolgreich mit Karstadt, Real, Primark, Netto und Zara über die Rückkehr in den Flächentarifvertrag verhandelt. Große Ketten wie Obi, Toys R Us, Zalando, Peek&Cloppenburg, Esprit und natürlich der Online-Riese Amazon sind nach Angaben der Gewerkschaft weiter außen vor.
Handelsverband weist Kritik zurück
Der Handelsverband Deutschland (HDE) wies die Vorwürfe von Verdi am Donnerstag scharf zurück. „Das ist verantwortungslos und schädigt am Ende die ganze Branche“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Mit durchschnittlich 15,70 Euro pro Stunde lägen die Löhne im Einzelhandel um 56 Prozent über dem gesetzlichen Mindestlohn. Die Einkommen seien im Durchschnitt deshalb so niedrig, weil 63 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit oder als Minijobber tätig seien.
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Um eine weitere Tarifflucht zu unterbinden, fordert Verdi die Rückkehr zu allgemeinverbindlichen Tarifverträgen, wie es sie bis Ende 1999 im Einzelhandel gegeben hatte. Die Allgemeinverbindlichkeit müssen Arbeitgeber und Gewerkschaft beim Bundesarbeitsministerium beantragen.
„Umsätze und Ertragslage im Einzelhandel sind ausgesprochen gut“, sagt Verdi-Vorstand Nutzenberger. Entsprechend hoch fallen die Gehaltsforderungen aus, die die Gewerkschaft in den bevorstehenden Tarifverhandlungen durchsetzen will. In einigen Bundesländern fordert Verdi rund sechs Prozent, in Nordrhein-Westfalen einen Euro pro Stunde, zudem 100 Euro mehr für Auszubildende. Der bisherige Tarifvertrag läuft zum 30. April aus. Die erste Verhandlungsrunde für NRW ist am 4. Mai geplant.
>>> Kleine Händler geraten unter Druck
- Der Handelsverband Deutschland erwartet für das laufende Jahr ein Umsatzwachstum von zwei Prozent. Sehr viel pessimistischer äußerten sich allerdings die kleinen Händler mit weniger als fünf Beschäftigten in der Frühjahrsumfrage. Sie stellen immerhin 54 Prozent der Handelsstandorte, 16 Prozent der Beschäftigten und zehn Prozent des Umsatzes im Handel.
- Unter Druck geraten ist nach Angaben des HDE auch der Textilhandel in den Innenstädten. „Wir beobachten zurückgehende Kundenfrequenzen auch in den guten Lagen kleiner und mittlerer Städte“, sagte Verbandsgeschäftsführer Stefan Genth. Auch sie leiden nach seiner Einschätzung unter der Internet-Konkurrenz. Dem Online-Handel sagt der HDE für dieses Jahr eine Wachstumsrate von elf Prozent auf 48,8 Milliarden Euro voraus. Im Verhältnis zum erwarteten Gesamtumsatz von fast 493 Milliarden Euro ist der Online-Anteil damit aber noch vergleichsweise gering.
- Der Wissenschaftler Bert Rürup, der für den HDE regelmäßig ein Konsumbarometer erstellt, geht davon aus, dass die Konsumlaune der Deutschen auch in diesem Jahr Motor der Wirtschaft bleibt.