Essen. "Die Leute sind auf die Banken richtig böse", sagt Weltbank-Präsident Robert Zoellick - deshalb würden sie eine Regulierung der Finanzmärkte auch als Abstrafung sehen. Ein Interview über die kurz- und langfristigen Folgen des Finanz-Desasters.
Ist die Wirtschaftskrise eine Krise des Kapitalismus, eine Krise der Globalisierung oder gar eine Krise der Marktwirtschaft?
Zoellick: Der Anstoß war eine Finanz-Krise, eine Wirtschaftskrise lag in der Luft. Jetzt wird sie zu einer Beschäftigungskrise. Es ist zu befürchten, dass es eine menschliche und soziale Krise mit grausamen Auswirkungen wird. Die Auswirkungen hängen davon ab, was die einflussreichen Länder unternehmen, um den Abwärtstrend zu hemmen.
Eine neue Wirtschafts- und Finanz-Architektur muss also her. Befürchten Sie zu viele Regulierungen?
Die Krise hat bereits deutlich gemacht, dass einige bisher unregulierte Situationen im Finanzsektor einer Regulierung unterworfen werden müssen. Einige der Institutionen, deren Kapitalanteil fest vorgegeben war, sind jetzt in Schwierigkeiten. Teilweise muss man sich um schärfere Regeln bemühen. Aber die Regulierung hat auch eine politische Dimension: Die Leute sind auf die Banken richtig böse, und manche sehen die Regulierung als eine Art Abstrafung für die Vergangenheit an. Wir müssen die Banken mit privaten Initiativen stützen, Protektionismus vermeiden und die Stimuli, die in einem globalen System notwendig sind, als angemessen ansehen.
Es gibt zwischen Europa und Amerika eine Kontroverse darüber, ob mehr Geld oder mehr Einschränkungen nötig sind.
In Europa und den USA gibt es eine Gesetzgebung, die die Notwendigkeit eines Systems von Regularien anerkennt. In jedem Land wird über Art und Umfang der Förderung, wie es um den Nutzen von Steuersenkungen und neuen Zahlungen steht, debattiert. Keiner kennt die richtigen Antworten.
In diesem Jahr wird es einen empfindlichen Rückgang im Welthandel und in der Industrieproduktion geben. Was muss gegen die Tendenz zum Protektionismus unternommen werden?
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Wir erwarten den schlimmsten Rückgang im Handel seit acht Jahren. So wie die Arbeitslosigkeit zunimmt, wächst die Gefahr, dass betroffene Länder ihre Märkte abschotten. In den 30er-Jahren nahm der Protektionismus Überhand und zwang alles in eine Abwärtsspirale. Es wäre ein gutes Zeichen, wenn diese Länder der neuen Runde der Welthandelsorganisation (WTO) zustimmen würden. Zusätzlich sollten alle Länder ein Stillhalteabkommen gegen protektionistische Maßnahmen bestätigen. Protektionismus wird von kleinen Gruppen vorangetrieben, die einen starken Glauben an Reichtum und viel genauere und breitere Interessen haben als Leute, die vom freien Handel profitieren. Wenn es gelingt, das Gegengewicht dieser Leute, die vom freien Handel profitieren, gegen Eigeninteressen zu mobilisieren, haben wir eine gute Chance, so etwas in den Hintergrund zu drängen.
Einige Politiker im „alten” Europa argwöhnen, dass die USA sich selbst vom freien Handel abschotten.
Ich glaube nicht, dass die USA besorgt um andere Länder sein müssen. Vielmehr sollte sich das Geldsystem der WTO auf die Entwicklungsländer konzentrieren und sie fördern. Die entwickelten Länder haben eine besondere Verpflichtung. Die USA haben ein Protokollsystem in ihrer Verfassung, das dem Kongress Macht über den Handel gibt. Weil die Mitglieder des Kon-gresses einzelne Distrikte und Interessen vertreten, gibt es eine Tendenz, die sich laut zu Wort meldenden Gruppen mehr zu beachten. Es ist wichtig, dass sich die Exekutive dagegen stellt und offensiv Stellung bezieht. Man muss die Tür für Freihandelsabkommen und Markterweiterung aufstoßen. Der Gipfel der 20 wichtigsten Industrieländer (G 20) hat Fingerspitzengefühl für alles gezeigt, was wir an individuellen Schritten brauchen.
Sind die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IMF) überhaupt fähig, die Herausforderungen zu bewältigen?
Beim G-20-Gipfel wurde deutlich, dass der IMF mehr Ressourcen braucht, um Versprechen zu halten. Und so haben die Japaner zusätzlich 100 Milliarden Dollar angeboten, die EU hat ebenfalls 100 Milliarden zugestimmt. Die Weltbank hat versprochen, weitere 100 Milliarden Dollar zu beschaffen.
Und was sagen Ihre Kunden?
Für die ärmsten Länder bieten wir langfristige Garantien. Dafür haben wir 42 Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre, und wir versuchen, mehrere Fonds aufzulegen, damit wir aus dem privaten Investitionsbereich weitere 30 bis 35 Milliarden erhalten. Im Moment haben wir einen Kapitalzuwachs, weil ich versuche, unsere Ressourcen aufzustocken. Aber auch andere Institutionen außerhalb der Weltbank bemühen sich um eine Kapitalerhöhung. Die G-20-Finanzminister unterstützen das. Wir brauchen mehr Geld, um mehr tun zu können.
Mir ist klar, viele Entwicklungsländer müssen handeln und brauchen zusätzliche Hilfe. So gibt der Deutsche Bundestag 100 Millionen Euro in den Topf und verspricht zusammen mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau 500 bis 600 Millionen Dollar zum Infrastrukturaufbau. Das ist ein schönes Beispiel, wie solche Gründungen in der Dritten Welt Arbeitsplätze schaffen und die Basis einer zukünftigen Produktivität in der Welt bilden, die eine Verbesserung der Infrastruktur verspricht.