Essen. . Der Siegener Detlef Wetzel war ein unauffälliger Chef der IG Metall, doch mit Reformen und Kampagnen hat er den Mitgliederschwund gestoppt.

Starre Altersgrenzen hält Detlef Wetzel eigentlich für aus der Zeit gefallen, hat er dieser Redaktion einmal gesagt. Die einen wollten früher, die anderen später in Rente gehen als der Staat es vorsieht. Er selbst konnte sich den Zeitpunkt freilich nicht aussuchen, mit 63 tritt der Siegerländer in der kommenden Woche als Chef der größten Industriegewerkschaft Europas ab. Den Statuten der IG Metall zufolge hätte er sonst mitten in seiner zweiten Amtszeit in Rente gehen müssen – und halbe Sachen sind nicht sein Ding.

Wetzel übergibt seinem Nachfolger Jörg Hofmann eine IG Metall, der es in der jüngeren Vergangenheit nie besser ging als heute. Die Kassen sind voll, die Mitgliederzahlen steigen seit fünf Jahren wieder, – und im Regierungsviertel ist die IG Metall Ansprechpartner Nummer eins, wenn es um Belange der Beschäftigten in Deutschland geht. Der stille, nachdenkliche Westfale hat die IG Metall in seinen zwei Jahren als Vorsitzender und zuvor sechs Jahren als Vizechef stärker und durchgreifender verändert als die meisten seiner schillernden Vorgänger.

Der Sieg der Modernisierer

Mit Wetzel erst als Vize und dann Nachfolger des ebenfalls introvertierten, aber mit größerem Charisma gesegneten Berthold Huber wurde der Kampf zwischen Modernisierern und Klassenkämpfern alter Prägung entschieden. Ein Zurück in ritualisierte Grabenkämpfe ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil die Ära Huber/Wetzel so erfolgreich war.

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Während Arbeiterführer vom Schlage eines Jürgen Peters sich mit Lautstärke und Sturheit Gehör und Geltung zu verschaffen suchten, tat Wetzel das genaue Gegenteil. Der gelernte Werkzeugmacher suchte schon als NRW-Chef der IG Metall (2004 - 2007) eher den Kompromiss als die Konfrontation. In jenen harten Zeiten enormer Arbeitslosigkeit ließ Wetzel dutzendfach Abweichungen vom Tarifvertrag zu, um Betriebe in Schwierigkeiten am Leben und damit Arbeitsplätze zu erhalten. Eben das gelang Wetzels IG Metall auch in der großen Wirtschaftskrise 2008/09, als sie mit kluger Ausweitung der Kurzarbeit Massenentlassungen verhinderte.

Noch in NRW trieb Wetzel besonders der Mitgliederschwund der IG Metall um. Er begann hier, was nach seinem Wechsel in die Frankfurter Zentrale sein Markenzeichen werden sollte: strategisch angelegte Kampagnen mit dem Ziel, der Gewerkschaft neue Klientelen zu erschließen. Die für eine bessere Bezahlung der Leiharbeiter mündete Jahre später in den ersten Metall-Tarifvertrag für Leiharbeiter, mit dem die Gewerkschaft viele neue Mitglieder gewann.

Die Übernahmepflicht von Auszubildenden brachte eine ähnliche Frischzellenkur für die altehrwürdige Gewerkschaft mit sich. Das Ergebnis: Seit 2011 hat sich der bis dahin scheinbar unaufhaltsame Mitgliederschwund ins Gegenteil verkehrt, heute ist die IG Metall mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern die mit Abstand größte Einzelgewerkschaft Deutschlands vor Verdi. Noch vor wenigen Jahren lag die Dienstleistungsgewerkschaft vorn.

Das Gegenteil einer Rampensau

Wetzel war stets der Mann hinter diesen Kampagnen, eine Art graue Eminenz. Dazu hat er die Organisation der IG Metall vom Kopf auf die Füße gestellt, den Frankfurter Wasserkopf gesund geschrumpft und die Bezirke gestärkt. Die Rolle als Stratege im Hintergrund lag ihm mehr als nach Hubers Abgang die des großen Vorsitzenden. Der gebürtige Siegener hat gar nicht erst versucht, plötzlich die Rampensau zu geben. Er brüllt nicht, sondern spricht – wie ein guter Lehrer – so leise und mit Denkpausen, dass man gut zuhören muss.

Am Dienstag wird der Hobby-Imker von der großen Bühne abtreten, die er nie zu seiner gemacht hat. Über die großen Zukunftsfragen der Gewerkschaft will er weiter grübeln, im Stillen, so wie er’s mag – und als Frührentner endlich auch ungestört.