Essen. . Vor dem Ende des Bergbaus im Revier zieht RAG-Stiftungschef Werner Müller eine Zwischenbilanz. Und er fordert einen Soli für den Aufbau West.
In drei Jahren endet mit der Schließung der letzten Zeche das Zeitalter des Steinkohlenbergbaus in Deutschland. Werner Müller, Vorsitzender der RAG-Stiftung, veröffentlicht nun ein Buch mit dem Titel „Unter uns“, das sich mit Wissen und Können des Bergbaus befasst. Im Gespräch mit Ulf Meinke begründet der frühere Bundeswirtschaftsminister, warum er sich einen würdigen Abschied von den Zechen wünscht – und wie er die Zukunft des Ruhrgebiets sieht.
Herr Müller, haben Sie Angst, dass die Kohle zu schnell in Vergessenheit gerät?
Werner Müller: Wir sind zuweilen schon recht schnell im Verabschieden. In nicht allzu ferner Zukunft endet ein wichtiges Kapitel über 150-jähriger Industriegeschichte. Insofern ist es wichtig, dass wir uns nicht sang- und klanglos vom Bergbau trennen. Die Kohle hinterlässt weit mehr Reichtum als Probleme.
Aber der Bergbau hat der Region auch Schaden zugefügt. Krebserregendes PCB im Grubenwasser beschäftigt derzeit die Politik.
Müller: Ich bleibe dabei: Der Bergbau hat der Region viel gegeben und deutlich weniger geschadet. Der wirtschaftliche Wiederaufstieg Deutschlands aus den Trümmern nach dem Zweiten Weltkrieg wäre ohne die Kohle unmöglich gewesen.
Sollte diese Bilanz heute von Themen wie PCB überlagert werden, würde das den historischen Verdiensten des Bergbaus in keinerlei Hinsicht gerecht.
Für manche Stadt ist der Abschied von der Kohle schwer zu verkraften. In Gelsenkirchen, einst größte Bergbaustadt Europas, war 2008 mit der Schließung des Bergwerks Lippe Schicht im Schacht. Oberbürgermeister Frank Baranowski spricht in Ihrem Buch von einem „Strukturbruch“ und verwendet nicht den höflichen Ausdruck „Strukturwandel“.
Müller: Das Thema ist sicherlich städteweise unterschiedlich zu betrachten. Zweifelsfrei sind Teile Gelsenkirchens oder auch Duisburgs etwas heftiger getroffen worden. Die Startvoraussetzungen waren nicht überall gleich. Es gibt in manchen Städten Keimzellen für eine positive Entwicklung, von denen das ganze Ruhrgebiet profitiert. Ich denke beispielsweise an das Essener Uniklinikum oder den Dortmunder Technologiepark. Aber wir haben auch Ecken, die mich an Besuche vor vielen Jahren in der damaligen DDR erinnern. Ich finde, das darf man auch ruhig etwas plakativer darstellen.
Brauchen wir nach dem Aufbau Ost nun einen Aufbau West?
Müller: Ich war kürzlich in Ostdeutschland unterwegs. Da kann man sehen, was mit Milliarden möglich ist. Rostock zum Beispiel ist eine piekfeine, schnuckelige Stadt geworden – auch mit Hilfe von finanziellen Mitteln aus Kommunen des Ruhrgebiets. Es wäre gut, wenn der Solidaritätszuschlag künftig schwerpunktmäßig dem Aufbau West dienen würde. Wenn ich dann zuweilen höre, wir wollen nicht betteln, denke ich: Mein Gott, ich weiß nicht, wieso das Betteln sein soll! Das Ruhrgebiet hat dem Osten auf die Beine geholfen, jetzt kann der Osten auch dem Ruhrgebiet auf die Beine helfen.
Der frühere Ruhr.2010-Chef Fritz Pleitgen erinnert in dem Buch „Unter uns“ an eine Arbeiterliedzeile von Heinrich Kämpchen. Was der Bergmannsdichter vor gut 100 Jahren zur Aufmunterung der Kumpel geschrieben hat, gelte heute für das ganze Ruhrgebiet. „Einig, einig“ müsse es sein.
Müller: Ich glaube nicht, dass gleich alle Verwaltungen vereinheitlicht werden müssten oder die Städtegrenzen fallen sollten. Es wäre schon gut, in Grundsatzfragen etwas mehr Einigkeit zu haben. Wenn die Region geschlossen in Brüssel oder Berlin auftreten würde, hätte das Gewicht.