Essen. . Durch das Flüchtlingschaos in Calais geraten die Spediteure aus NRW unter Druck. Viele Fahrer verweigern die Tour nach Großbritannien.
Das Flüchtlingschaos rund um die französische Hafenstadt Calais mit Tausenden von Flüchtlingen, die – versteckt auf Lastwagen – durch den Eurotunnel und auf Fähren illegal nach Großbritannien gelangen wollen, setzt Lkw-Fahrer und Spediteure aus Nordrhein-Westfalen immer stärker unter Druck.
Brummifahrer berichten von erschütternden Szenen vor dem Tunnel. Spediteure weisen ihre Fahrer an, in der Warteschlange vor der Einfahrt nicht mehr auszusteigen – aus Angst vor der schieren Zahl an Flüchtlingen, die die Lkw regelrecht umzingelten und zu entern versuchten. Die verplombten Sattelauflieger würden von den verzweifelten Menschen mittlerweile mit Brechstangen, Bolzenschneidern und Messern aufgebrochen.
Lage am Eurotunnel ist für manche Speditionen existenzbedrohend
Der Branchenverband für Verkehrswirtschaft und Logistik (VVWL) NRW schätzt die Lage in Calais für manche Unternehmen bereits als existenzbedrohend ein. Die einst beliebte Strecke über den Ärmelkanal sei für die meisten Fahrer zum Albtraum geworden.
„Unsere Fahrer sind völlig entnervt. Viele weigern sich, nach Großbritannien zu fahren. Sie haben Angst“, sagte VVWL-Vorstandsmitglied Horst Kottmeyer dieser Redaktion. Kottmeyer, Inhaber einer großen Spedition in Bad Oeynhausen und Vizepräsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), hat seine eigenen Fahrten auf die Britische Insel auf ein Minimum reduziert und steuert dort Ziele nur noch für wenige Stammkunden an. Andere Spediteure berichten von massiven Umsatzeinbußen – ausgelöst durch die zugespitzte Lage in Calais.
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Der auf den Frachtverkehr nach Großbritannien spezialisierten KMS Transport GmbH aus Bergheim bei Köln gehen inzwischen die Fahrer aus. Das Unternehmen musste seine monatlichen Touren bereits um ein Drittel zusammenstreichen. Geschäftsführer Klaus Heinen: „Wenn das so weiter geht, wird demnächst der Laderaum nach Großbritannien knapp.“
Auf scharfe Kritik der Branche stößt zudem die Praxis des britischen Zolls, Fahrer und Spediteure wie Menschenschmuggler zu belangen, selbst wenn die auf den Lastern entdeckten Flüchtlinge sich heimlich versteckt hatten. Dabei werden Strafgelder bis zu mehreren tausend Euro fällig. Der Bundesverband BGL bezeichnete das Vorgehen der Behörden unlängst als „menschenverachtendes Grenzschutzregime“.
Bei Brummifahrern geht die Angst um
Not macht erfinderisch. Und die Not der Flüchtlinge von Calais ist groß. Weil die französische Polizei die zwischen Lastwagenladungen versteckten Menschen mit Atemluftmessgeräten aufspürt, klammern sich viele Flüchtlinge buchstäblich an einen Strohhalm. Durch Löcher in den Lkw-Planen atmen sie so nach außen aus – damit die Geräte nicht anschlagen.
Bilder wie diese gehören für Lastwagenfahrer auf ihrer Tour nach Großbritannien längst zum traurigen Alltag. Denn während die Brummis vor dem Eurotunnel für Abertausende Menschen, die nach monatelanger Odyssee in der französischen Hafenstadt stranden, zu Vehikeln der Hoffnung geworden sind, erleben Trucker und Spediteure die einst so beliebte Strecke über den Ärmelkanal als einzigen Albtraum.
„Szenen wie im Horrorfilm“
Der Verband für Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL) spricht sogar von „Szenen wie in einem schlechten Horrorfilm“. In Calais sorge allein die schiere Zahl der Flüchtlinge dafür, dass Menschen in ihrer Verzweiflung jegliche Hemmungen fallen ließen. „Die Flüchtlinge verstecken sich nicht mehr heimlich, sondern entern die Lastwagen regelrecht.
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Dutzende Menschen umzingeln am helllichten Tag die Fahrzeuge, brechen Ladetüren und Staukästen auf, schneiden sogar Löcher in die stabilen Dächer der Sattelauflieger“, berichtet Verbandssprecher Marcus Hover. Reiche der Platz nicht, werde Ladung einfach auf die Straße geworfen. Die Fahrer hätten längst aufgegeben. Hover: „Wer sich wehrt, wird massiv bedroht.“
Beliefert werden nur noch Stammkunden
Das hat Folgen tief in die Branche hinein. „Unsere Fahrer haben Angst, viele weigern sich, nach Großbritannien zu fahren“, sagt Horst Kottmeyer, Inhaber einer Großspedition mit 250 Mitarbeitern und 120 Brummis. Früher schickte Kottmeyer seine Fahrer bis zu 5000 Mal im Jahr über den Kanal. Mittlerweile hat das Unternehmen aus Bad Oeynhausen mit Filialen in Recklinghausen und Hamburg seine Fahrten auf die Britische Insel auf ein Minimum reduziert. Beliefert werden nur noch Stammkunden. Selbst bis in deren Werkshöfe hinein sind schon Flüchtlinge als blinde Passagiere mitgereist. Kottmeyer: „Plötzlich war da ein Riesenloch in der Plane unseres Wagens und vier Flüchtlinge kletterten heraus.“
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Das Problem ist nicht einmal neu. Schon seit Jahren gilt Calais unter Flüchtlingen als goldenes Tor ins Vereinigte Königreich. Doch so dramatisch war die Lage noch nie. Täglich, erzählt Horst Kottmeyer, hole die Polizei bis zu 1500 Menschen aus den Lastern am Eurotunnel. „Früher gab es vereinzelte Versuche, im Dunkeln heimlich auf die Laster zu klettern – auf 1000 Touren kam ein Vorfall.“ Heute jedoch sei praktisch jede Fahrt betroffen.
"Menschenverachtendes Grenzschutzregime"
Längst sind die Spediteure vorsichtig geworden. Trucker dürfen ab Antwerpen keinen Halt mehr machen. Belgische Raststätten gelten als „Bushaltestellen“ für Flüchtlinge. Auch in Calais sollen die Fahrer nicht mehr aussteigen, selbst wenn sie sehen, dass Flüchtlinge in den Laderaum eindringen. „Die Situation der Flüchtlinge ist ein humanitäres Drama. Ich muss aber auch meine Leute schützen. Die Lage vor Ort könnte eskalieren“, begründet Klaus Heinen, Chef der KMS Transporte GmbH, diesen Schritt.
Für KMS hängt von der weiteren Entwicklung in Calais viel ab. Der Spediteur aus Bergheim bei Köln hat sich auf den Güterverkehr nach Großbritannien und Irland spezialisiert. Doch in den letzten Monaten ist die Zahl der Touren um ein Drittel eingebrochen. Und KMS hat Mühe, Fahrer zu finden. Heinen: „Die winken beim Ziel England gleich ab.“
Flüchtlingsdrama am Eurotunnel