Essen. Warum nur will VW-Patriarch Ferdinand Piëch seinen Zögling Martin Winterkorn an der Volkswagen-Spitze demontieren? Beide Seiten schweigen noch.

Was bezweckt VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch mit der gezielten Attacke auf seinen, man darf vermuten: ehemals freundschaftlich verbundenen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wirklich? Das dürften außer der Ehefrau Ursula des mächtigen Patriarchen Piëch nur ganz wenige wissen. Sicher scheint, dass der verschlossene Porsche-Enkel nicht aus einer Laune heraus handelt, sondern als stets kühl kalkulierender Machtmensch. Und bereits mehrmals hat Piëch missliebig gewordene Manager mit einem dahingesprochenen Satz fallengelassen.

„Zurzeit noch. Das ,Noch’ können Sie streichen“, antwortete Piëch 2009 auf die Frage, ob Porsche-Chef Wendelin Wiedeking sein Vertrauen habe. Drei Jahre zuvor hatte er Winterkorns direkten Vorgänger Bernd Pischetsrieder waidwund gelächelt, in dem er auf die Frage nach dessen Vertragsverlängerung gar keine Antwort gab. „Bei Audi herrsche Stillstand“, urteilte Piëch 2001 knapp über Franz-Josef Paefgen auf dem Audi-Vorstandsvorsitz. Kein Jahr nach den Attacken waren Paefgen und Pischetsrieder Geschichte, mit Versorgungsposten ruhiggestellt.

Viele Baustellen im VW-Reich

Die Reihe der von Piëch Geschassten ließe sich fortsetzen. Besonders die Nachfolger von Piëch als Audi-Chef (bis 1993) hatten es schwer, Ausnahme: Winterkorn. Zwischen dem Diplom-Ingenieur Piëch (77) und seinem Zögling, dem Dr. für Metallphysik Winterkorn (67), schienen die Räder nicht nur beruflich ineinanderzugreifen. Man zeigte sich auch privat zusammen, schlenderte mit Familienangehörigen über Automessen. Und Winterkorn verdiente unter Piëch mehr als die Bosse von BMW und Mercedes zusammen: in der Spitze 17,8 Millionen Euro – im Jahr.

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Jetzt werden Gründe genannt, warum Piëch mit Winterkorn so unzufrieden sein könnte, dass er eine Vertragsverlängerung als VW-Vorstandsvorsitzender über Ende 2016 hinaus und den bislang als sichere Sache geltenden Wechsel auf den Aufsichtsratsvorsitz bei Volkswagen torpedieren möchte.

Tatsächlich gibt es im VW-Reich der zwölf Marken vom Motorrad- über Supersportwagen- bis zum Schwerlaster-Bauer viele Baustellen: mangelnde Akzeptanz der VW-Modelle auf dem Boom-Markt USA, eine verfehlte Strategie beim Bau von Billigautos, Nachholbedarf bei E-Mobilität, dazu die schleppende Zusammenführung der beiden Lkw-Marken. Und am schlimmsten: eine im Vergleich zu Toyota viel geringere Rendite.

Starker Einfluss der Gewerkschaften

Das von Winterkorn ausgegebene Ziel, die Japaner bis 2018 als Autobauer Nummer eins abzulösen, scheint unerreichbar. Doch alle diese Probleme bestehen seit langem, viele gehen nicht auf das Konto des unermüdlich von einer Baustelle des Konzerns zur nächsten eilenden Winterkorn, einige hatte Piëch in seiner Zeit als VW-Lenker bis 2002 selbst. Der starke Einfluss der Gewerkschaften und die Sonderstellung des Landes Niedersachsen machen es jedem Chef in Wolfsburg schwer, für höhere Gewinne Einschnitte bei den Beschäftigten durchzusetzen.

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Doch insgesamt steht der Konzern gut da, der Aktienkurs stieg unter Winterkorn um das 4,5-Fache. VW erwirtschaftet als einzige europäische Massen-Marke nennenswerte Gewinne. Die Probleme von VW hätten Fiat, Peugeot, Renault, Ford und Opel gerne.

An der wirtschaftlichen Seite des Konzerns kann es eigentlich nicht liegen, wenn Piëch seinen Duz-Freund loswerden will, denn er 1981 zu Audi holte. Möglicherweise fühlt sich Piëch hintergangen. Ein Piëch vergisst nie, heißt es in der Branche.

Streit um Besetzung der Aufsichtsräte?

Die „Braunschweiger Zeitung“ berichtet heute, dass möglicherweise ein Streit um die Besetzung der Aufsichtsratssitze zwischen den Porsche-Eignern Hintergrund für den Angriff auf Winterkorn ist. Die beiden Stämme Porsche und Piëch teilen sich die Anteile an der Porsche Holding SE, Ferdinand Piëch persönlich besitzt mindestens zehn Prozent. Die Holding hält wiederum 51 Prozent der Anteile am VW-Konzern.

Am 4. Mai tagt der VW-Aufsichtsrat, eine direkte Ablösung Winterkorns ist fast unmöglich. Ob Winterkorn weitermachen würde, wenn er ohne eine vorzeitige Vertragsverlängerung über 2016 hinaus ein Chef auf Abruf wäre? Das behält er für sich.