Essen. . Der Wirtschaftsweise Chrstoph M. Schmidt hält einen Euro-Austritt Griechenlands für verkraftbar, auch wenn er dramatische Folgen für die Bevölkerung vor Ort befürchtet.

Für die Griechen wäre der Euro-Austritt eine Katastrophe, der Euroraum könnte sogar gestärkt werden. Diese Einschätzung vertritt Christoph M. Schmidt, Chef der Wirtschaftsweisen und Präsident Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen im Gespräch mit Stefan Schulte.

Herr Schmidt, Griechenland steht seit nunmehr fünf Jahren kurz vor der Pleite, politisch wechseln sich Zuspitzung und Entspannung der Lage ab. Kein Normalbürger versteht mehr, was da vor sich geht. Können Sie es erklären?

Christoph M. Schmidt: Offenbar ist die Frustration der griechischen Bevölkerung nach fünf Jahren hartem Anpassungsprozess groß, und das kann man auch verstehen. Aber es ist geradezu tragisch, dass die neue Regierung gerade jetzt, da es einen primären Haushaltsüberschuss und die Aussicht auf ein zartes Wachstum gab, der beginnenden Erholung der griechischen Wirtschaft so brutal den Stecker gezogen hat.

Auch interessant

Warum ist die Lage in Griechenland so viel schlimmer als in den anderen Krisenstaaten?

Schmidt: Im Jahr 2009 lag das Defizit Griechenlands bei rund 15 Prozent, der Schuldenberg wurde immer größer. Die griechische Wirtschaft war auf der Basis leichtfertig vergebener Kredite wie mit Doping unterwegs, das ausgewiesene Wirtschaftswachstum war nicht nachhaltig. Als die Gläubiger dann im Jahr 2010 merkten, dass ihr Geld in Gefahr ist, musste es Anpassungen geben, die Frage war nur, wie? Nach dem Maastricht-Vertrag hätte man sagen müssen, seht zu, wie ihr Griechen das wieder hinbekommt. Aber ein solcher plötzlicher Stopp aller Kredite hätte wohl unausweichlich zu noch viel brutaleren Konsequenzen geführt als der Weg, der dann mit Hilfsgeldern, zweimaligem Schuldenschnitt und den im Gegenzug zugesagten Reformen beschritten wurde. Dass die Troika das Land böswillig hätte ausbluten lassen, ist ein Märchen, stattdessen ging es in kleinen Schritten voran.

Korruption, Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit gibt es in Griechenland länger als den Euro. Wie groß ist der Anteil des Euro an der Krise?

Schmidt: Es ist nach der Einführung des Euro in der durchaus berechtigten Annahme sehr viel Kapital nach Griechenland geflossen, dass Griechenland einiges an Wirtschaftsleistung aufzuholen hat. Die Frage in einer solchen Situation ist letztlich immer, ob das schuldenfinanzierte Wachstum tatsächlich nachhaltig ist. Heute ist klar: Es wurde nicht annähernd so viel in die langfristige Wirtschaftsleistung investiert wie erhofft. Tatsächlich hätte man Griechenland aus ökonomischer Sicht damals erst gar nicht aufnehmen dürfen.

Auch interessant

Sollten sie denn aus heutiger Sicht im Euro bleiben?

Schmidt: Im Jahr 2010 hätte ein Ausscheiden Griechenlands trotz seiner geringen Wirtschaftskraft noch die gesamte Währungsunion gefährdet, weil sie das Versprechen in Frage gestellt hätte, die Währungsunion als Ganzes auf Dauer anzulegen. Wäre Griechenland ausgeschieden, hätten die Finanzmärkte womöglich die jeweils Schwächsten wie Spanien und Portugal als nächstes aussortiert. Aus dieser Situation der Verletzlichkeit hat der Euro-Raum aber gelernt und insbesondere mit der Bankenunion und dem Krisenmechanismus ESM entsprechende Sicherungen eingebaut. Hinzu kam das Versprechen der EZB, den Euro mit allen Mitteln verteidigen zu wollen. Wenn Griechenland sich heute durch eigenes Handeln aus dem Euro herauskatapultieren würde, bliebe der Währungsraum aller Voraussicht nach trotzdem stabil. Er könnte sogar gestärkt aus dieser Entwicklung hervorgehen. Nur hat das die griechische Regierung offenbar nicht verstanden, die immer noch den gleichen Hebel zu haben glaubt wie 2010 und sich wohl gerade deshalb sehr selbstbewusst zeigt.

Sehen Sie denn bei den Europartnern die Bereitschaft, die Griechen fallen zu lassen?

Schmidt: Zunächst einmal glauben die Griechen selbst offenbar, dass man sie nicht fallen lassen wird. Aber wenn Athen sich mit seiner Haltung durchsetzen würde, wäre das ein Signal für alle anderen Krisenländer, sich auch nicht mehr an die Verabredungen zu halten. Das können und dürfen die Mitgliedstaaten des Euro nicht zulassen.

Also naht ein Ende mit Schrecken?

Schmidt: Die griechischen Banken sind schon heute auf Notfallkredite der EZB angewiesen, die an der Grenze der Zulässigkeit angekommen sind. Wenn es zur Zahlungsunfähigkeit Athens käme, wären die griechischen Banken im selben Moment bankrott, es käme schlicht kein Geld mehr aus den Bankautomaten. Die Folgen für das Land wären enorm, die Regierung spielt momentan wirklich mit dem Feuer.

Genau das empfiehlt aber ifo-Chef Prof. Sinn.

Schmidt: Kollege Sinn rät den Griechen seit langem, den Euro zu verlassen und die dann notwendige neue Währung gegenüber dem Euro stark abzuwerten. Er geht offenbar davon aus, dass die griechische Wirtschaft dadurch gestärkt nach einiger Zeit wieder in den Euroraum zurückkehren könnte. Dass das wirklich möglich sein würde, bezweifle ich aber stark. Wenn das Land den Euro verlässt, ist meiner Einschätzung nach das Risiko groß, dass Griechenlands Wirtschaft dauerhaft stagniert, weil die nötigen Reformen ausbleiben. Da hilft dann eine Abwertung nicht viel, denn um von ihr profitieren zu können, muss man auch etwas zum Exportieren haben. Der Tourismus alleine dürfte für einen wirtschaftlichen Neuaufbruch nicht ausreichen. Nein, ein Grexit hätte aus meiner Sicht fürchterliche Folgen für die griechische Bevölkerung.

Auch interessant

75194788.jpg
Von Stefan Schulte und Stefan Scholl

Wie lange hält Athen noch durch?

Schmidt: Ich habe den Eindruck, dass das die griechische Regierung selbst nicht so ganz genau weiß. Es gibt vielleicht noch wenige Möglichkeiten, etwas Geld zusammenzukratzen. In die Rentenkasse hat der Staat schon gegriffen, er könnte beispielsweise noch Gehälter einbehalten, aber lange geht das wohl nicht mehr gut. Das Drama ist: Die Geldgeber haben der Verlängerung des alten Rettungsprogramms um vier Monate zugestimmt, um die Einhaltung der damit verbundenen Vereinbarungen zu ermöglichen; die griechische Regierung hat das stattdessen als Gelegenheit aufgefasst, die Konditionen des Programms neu zu verhandeln. Auch in diesem Punkt dürfte sie ihre Verhandlungsposition stark überschätzen.

Wir reden über eine Wirtschaft mit einem alles dominierenden Staatssektor, der auf Schulden gebaut wurde. Die Griechen müssten also fast bei Null anfangen, ist ein reines Schuldenmanagement nicht zu wenig?

Schmidt: Es ging den Geldgebern ja nie um Austerität allein, sondern um Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen. Und es gab ja auch erste Erfolge beim Versuch, eine selbstragende Wirtschaft aufzubauen. So etwas gleicht in dieser Situation zwar immer einer OP am offenen Herzen. Aber den Ruf nach Investitionen ohne eine vorherige Veränderungen der Strukturen, wie ihn der griechische Finanzminister Varoufakis äußert, halte ich für nicht zielführend. Es wäre nicht sinnvoll, wenn der ohnehin aufgeblähte griechische Staat noch mehr Schulden macht, um die Wirtschaft mit staatlichen Investitionsprogrammen anzukurbeln. Erfolg wird es nur auf Basis privater Investitionen geben, die von Unternehmen auf der Basis ernsthafter Renditeerwartungen getätigt werden.

Auch interessant

Mal egoistisch gedacht, verlieren die Deutschen mehr Geld, wenn Griechenland aus dem Euro ausscheidet oder bei einem neuen Schuldenschnitt?

Schmidt: Das Beste aus deutscher Sicht wäre die Rückkehr zu dem Weg, den wir bis Ende 2014 gesehen haben, also eine Kombination aus Haushaltskonsolidierung und Reformen. Wenn Griechenland sich stattdessen selbst aus dem Euro herauskatapultiert, wäre die Konsequenz vermutlich eine humanitäre Katastrophe, bei der Deutschland sicher nicht zusehen könnte, sondern helfen würde. Die Kredite in Euro könnte Griechenland mit einer neuen Währung auch nicht mehr zurückzahlen, es würde also sehr teuer werden. Der schlechteste und teuerste Weg wäre es aber, den Forderungen aus Athen nachzugeben, um den Grexit um jeden Preis zu verhindern.

Im Moment sind die deutschen Sparer die großen Verlierer, weil zur Krisenpolitik historisch niedrige Zinsen gehören.

Schmidt: Ja, es gibt derzeit die Klagen, dass die deutschen Sparer enteignet werden. Aber was wäre die Alternative? Dass die EZB die Zinsen senkt, wenn Wachstums- und Inflationsaussichten niedrig sind, halte ich grundsätzlich für eine richtige Maßnahme. Und man muss sehen, dass der schwache Euro ja auch unsere Exporte beflügelt. Richtig ist aber, dass jeder, der sein Geld werterhaltend anlegen will, sich derzeit schwer tut. Die Gefahr ist, dass viele in höhere Risiken fliehen und damit zu Übertreibungen bei Geldanlagen beitragen.

Großer Profiteur ist dagegen der deutsche Staat, der fast keine Zinsen mehr für neue Kredite zahlen muss. Muss man diesen Profit nicht gegenrechnen, wenn man beklagt, wie teuer die Rettungsaktionen werden könnten?

Schmidt: Sicher profitiert der deutsche Staat, aber letztlich jeder Kreditnehmer, derzeit von den niedrigen Zinsen, aber dafür tragen wir auch enorme Risiken. Deutschland wäre sicherlich besser dran, wenn wir diese Krise und damit auch die niedrigen Zinsen nicht hätten. Was wir dadurch sparen, würde die Regierung sicher gerne gegen einen stabilen Euroraum tauschen.