Gelsenkirchen. Man kann, wenn man gut wirtschaftet, sogar als Hartz-IV-Empfänger sparen, sagt eine Gelsenkirchener Familie – und macht sich damit nicht nur Freunde.
Lebensmittel: Rest 206,20 Euro. Kleidung: Rest 79,42 Euro. Strom: Rest 24,71. Hygiene-Artikel: Bleibt auch noch was übrig. „Man kann, wenn man will”, sagt Wilfried Fesselmann: vom Staat leben und sogar noch sparen! Das widerspricht nun allem, was man so hört, und allen, die gegen diese „moderne” Form der Sozialhilfe kämpfen: Man kommt einfach nicht aus mit Hartz IV.
Arbeit- und Geldgeber ist für ihn die Arge
Fesselmanns schon. Jedenfalls behauptet die Familie aus Gelsenkirchen das, im Fernsehen und in einem Buch: „Besser leben mit Hartz IV”. Eine Anleitung soll es sein, eine Sammlung guter Ratschläge, aber man kann das auch anders verstehen, das weiß Vater Fesselmann wohl: „Natürlich ist es immer besser, wenn man einen Job hat”, aber er hat nun einmal keinen, seit 2001 schon nicht. Dafür sieht er als seinen Job an, was er ist: arbeitslos. „Arbeit- und Geldgeber ist die Arge”, beschäftigt ist Wilfried Fesselmann – mit Anträgen, Nachweisen und Sparen. Deshalb ist das Bisschen, dass es beim Arbeitslosengeld II ab Anfang Juli mehr gibt, eine gefühlte „Gehaltserhöhung”.
Im Moment bekommt er 1335 Euro, ohne Miete, für alle fünf: Vater Wilfried, Mutter Marion, Sohn Dominik (16), Tochter Lisa (13) und den kleinen Felix (8). Gemeinsam haben sie vorgelebt, was der gelernte Kaufmann nun aufgeschrieben hat: „Es ist wirklich drin!” Man müsse nur „handeln wie der Teufel”, Schnäppchen jagen wie verrückt, gut kochen, geschickt einteilen und sich nicht schämen. Fesselmann nämlich, der redet nicht nur darüber, dass er Hartz IV kriegt, der schreibt es sogar – „und fürs Pfand hebe ich auch eine Bierflasche auf”.
Sein heißester Tipp aber ist – Zeit. Das einzige, wovon einer wie er genug hat: Morgens studiert er die Anzeigen der Discounter, schneidet Gutscheine aus, mittags kann er „die Mahlzeiten besser und günstiger kochen, als einer, der in der Pause was Fertiges kaufen muss”. Die Lieblingslimonade gibt es nur, wenn sie 55 Cent kostet statt 88, aber dann im Großpack, wie alles, was runtergesetzt ist. Gemüse wird blanchiert und eingefroren, Fleisch und Brötchen wandern in die Kühltruhe und werden portionsweise aufgetaut. Kleider gibt's vom Flohmarkt, in der gemütlichen Wohnung ist vieles selbstgebaut und Altes aufgehübscht, und wenn es zum Monatsende doch mal knapp wird, geht der Vater Pfand umsetzen.
Im Buch zeigt Fesselmann Fotos, von liebevollen Mahlzeiten und Mama Marion in Klamotten, die Überheblichen wie Resignierten beweisen sollen: „Man kann sich auch günstig und schick einkleiden.” Und Tochter Lisa, trotz Pubertät, will wirklich nichts einfallen, das fehlt: „Nö.” Für den Bereich „Verkehr” haben alle Kinder das Schokoticket (bleiben 410 Autokilometer), und fürs Telefonieren Billig-Tarife, „da bleibt definitiv was über!” Und da der Gesetzgeber unter diesem Posten auch „Post” vorsieht, findet Fesselmann, „da kann man noch Bewerbungen schicken”! Das alles belegt er mit Zahlen. Wenn auch: seinen Zahlen.
Er will helfen mit solch freundlichen Empfehlungen und keinen ärgern, aber natürlich hat er das längst getan. Im Internet häufen sich die Klagen derer, die eben nicht hinkommen mit Hartz IV: „Solche wie ihr machen alles kaputt!” Und es gibt viele Zweifler: Von nicht einmal 300 Euro für Essen kann eine fünfköpfige Familie doch nicht leben! Zumal: Vor dem Buch sind Fesselmanns vor allem im Fernsehen aufgefallen, meistens auf dem Boulevard. Nannten sich selbst „Fernseh-Familie”, ließen sich durchreichen von Talk- zu Spielshows – haben sie die Gagen eigentlich angegeben? Es gibt viele, die das gern wüssten.
Wilfried Fesselmann hat es geahnt und vorsorglich ins Vorwort seines Büchleins geschrieben, das nächste Woche erscheint: „Den Titel des Buchs bitte nicht falsch verstehen.” Es solle Mut machen und motivieren. Im virtuellen Gästebuch der Familie sind die kritischen Einträge inzwischen gelöscht. Im übrigen betont der Autor: Alle Einkommen würden ordnungsgemäß versteuert und der ARGE gemeldet. Und: „Was glauben die Leute eigentlich, was man beim TV verdient?”
Knackpunkt: Rauchen und übermäßig Trinken
Allerdings sagt er dann auch wieder Sätze, die manche nicht gern hören und andere schon deshalb allenfalls denken: „Es gibt viele, die schreien: Wir kommen nicht klar. Aber dann stehen sie morgens in der Spielhölle oder an der Bude, und dann weiß man warum.” Für Fesselmann gibt es „zwei Knackpunkte”, ohne die seine ganze schöne Rechnung nicht aufgeht: „Man darf nicht rauchen, und man darf nicht übermäßig trinken.”
Alles zu schön, um wahr zu sein? „Schön” ist bei Hartz IV wohl ohnehin das falsche Wort. „Natürlich würde ich lieber arbeiten”, sagt Wilfried Fesselmann. „Schlechter werden kann es eigentlich nicht.”
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