Wie geht die SPD-Basis mit der aktuellen Misere um? Was sagt sie zum aktuellen Führungspersonal. Und zur Linken? Die WAZ hat sich umgehört.
Der Weg zur Arbeitsgemeinschaft 60 plus der SPD Oberhausen-Mitte führt vorbei an der Theke. Wo es zum Politischen Stammtisch geht, der um vier beginnt? „Die Dame sitzt da hinten”, sagt der junge Wirt des Balkanlokals „International” vollkommen humorfrei und zeigt auf einen abgetrennten Nebenraum in rustikaler Holzoptik. Die SPD ganz allein. Die Stimmung könnte kein lustiger Bosnjak der Welt aufheitern.
Rosemarie Schmidt freut sich über Gesellschaft, lächelt den Besucher fröhlich an und zuckt mit den Achseln. „Sonst sind wir mehr hier, weiß auch nicht, was schiefgelaufen ist.” Einmal im Monat trifft sich die AG, sechs, acht, zehn Rentner machen mit. Normalerweise. Nur heute nicht. Trösten lässt sich die rüstige Dame, die seit 40 Jahren in der Partei ist, allerdings nicht, wenn man ihr zum Abschied sagt, noch weiter nach unten werde es mit der SPD ja wohl nicht gehen. „Na hören Sie mal, wir haben in der neuesten Umfrage noch'n Prozent weniger gehabt als bei der Wahl.” Stimmt. So ist das an der Basis: Es kann noch so bitter laufen, aber belügen will man sich nicht.
Im Souterrain eines schmucklosen Treffpunkts in Duisburg-Neudorf, für den Technokraten einmal den Begriff „Begegnungsstätte” erfanden, ist am Abend immerhin zarte Freude verspürbar. Turnusmäßige Sitzung des SPD-Ortsvereins, 15 Mitglieder hocken auf blau bezogenen Stühlen im Seminarraum, kaum einer unter 50, viele deutlich darüber. Wasser- und Colaflaschen stehen auf den Tischen, das Licht scheint matt auf ein Dutzend kleiner Bildchen, die den hellgelben Wandanstrich aufhübschen sollen.
„Wir haben vier Neueintritte”, berichtet Bärbel Bas (41), die stellvertretende Vorsitzende, den Genossen, ohne ihr Erstaunen in der Stimme zu verbergen. Vier Richtige mit Zusatzzahl – Hartmut Pietsch (62) setzt die Geburtsjahrgänge als Aha-Effekt hinzu: 1977, 1979, 1990. Der Jungbrunnen sprudelt kurz. Und 1960. Geht auch noch.
Dafür funktioniert der Beamer nicht, aber über die aktuelle Misere kann man auch debattieren, ohne die gruseligen Zahlen des Wahlabends an der Wand noch einmal sehen zu müssen. Pietsch, selbst Opfer einer eigenwilligen Listenaufstellung seiner Partei bei der Kommunalwahl und als schulpolitischer Sprecher plötzlich nicht mehr im Stadtrat, sucht die positive Nachricht. „Wir sind in Duisburg immer noch eine Vierzig-Prozent-Partei”, sagt er. „Wir waren aber mal fast bei sechzig”, ruft einer dazwischen. Stimmt auch wieder.
„Früher konntest du die Leute nachts wecken, da haben sie dir gesagt, die SPD steht für soziale Gerechtigkeit”, brummt Beisitzer Reinhard Meyer, „heute sagen sie, wir stehen für Hartz vier und Rente mit siebenundsechzig. Ich hab' keine Lust mehr, mich ständig verprügeln zu lassen”, wettert der Senior.
Und wie soll's weitergehen? Den Flirt mit den Linken zur Beziehung ausbauen? „Wir müssen selber linke Politik machen”, fordert Meyer, „wir sind das linke Original, wir müssen uns nicht nach denen richten, wir haben eigene Vorschläge.” Man hätte eine Koalition mit den Linken vor der Wahl nicht kategorisch ausschließen sollen, findet Bärbel Bas. Gut, wenn Hannelore Kraft das jetzt offen lasse. „Da sind allerdings 'n paar Spinner dabei”, warnt Siegfried Am-brosius aus dem Hintergrund.
Dass die Führungsfragen so schnell gelöst wurden, finden sie gut in Duisburg-Neudorf. „Da braucht man nu' wirklich keine Findungskommission”, lästert Ambrosius. „Wär' ja nichts schlimmer gewesen, als wenn sie sich wieder zerfleischt hätten”, meint Bas. Auch wenn ihr Andrea Nahles an der Spitze lieber gewesen wäre als Siegmar Gabriel. Und Steinmeier als Fraktionschef? „Find ich gut, dass der das macht”, sagt Ursula Schreiber kurz und knapp.
Rudolf Malzahn, seit 46 Jahren in der SPD, findet's gar nicht gut. „Steinmeier sollte nirgendwo mehr erscheinen”, poltert der Vorsitzende des Ortsvereins Bochum-Hamme, seit dem Clement-Tamtam vielleicht Deutschlands bekanntester Ortsverein überhaupt. Steinmeier, Steinbrück und Co., „die haben uns doch den ganzen Mist eingebrockt”, schimpft Malzahn. „Wenn man auf uns gehört hätte, wäre alles nicht so weit gekommen.” Jetzt müsse man erleben, dass CDU und FDP Hartz IV begradigten. „Der Rüttgers”, findet Malzahn, „wär' besser in der SPD.”
Und über das Besetzungsverfahren an der Spitze wettert er auch. Denn das beleidige sein Demokratieverständnis. „Man hätte die Basis befragen müssen”, findet der 66-Jährige. „Wir wehren uns dagegen, dass die SPD wie ein Unternehmen geführt wird, nämlich von oben nach unten. Das muss in Parteien andersherum gehen.”
Wenn schon nicht Steinmeier, dann lieber ein Ruck zu den Linken? „Da hamse einige auch nich' alle aufm Zaun”, findet Malzahn, aber mit den Vernünftigen könne man schon über das Koalieren reden. Und Oskar? Malzahn holt lange Luft, um einer versteckten Sehnsucht Platz zu verschaffen. „Ach, wenn der in der SPD geblieben wäre, hätte der Schröder doch gar nicht all' die Schweinereien machen können, und die SPD wär' nich' so abgesoffen.”
Vielleicht wär's dann auch am Tisch von Rosemarie Schmidt voller gewesen.