Es ist viel von dem so genannten „rechtsfreien Raum” die Rede in diesen Tagen. Früher ließ sich das Phänomen in der Hamburger Hafenstraße verorten.
Dann wurden die besetzten Häuser geräumt und der rechtsfreie Raum wanderte vorübergehend in Fußballstadien ab, bevorzugt in italienische. Heute hat der rechtsfreie Raum Heimat im Internet gefunden, zumindest wenn man wahlkämpfenden Politikern zuhört.
Das Sonderbare daran ist nur, dass der Gemeine Netzbewohner (Homo Connecticus) den rechtsfreien Raum nicht so richtig entdecken kann. In der Hafenstraße sah man noch Graffiti, Punks oder langhaarige Kiffer, in den Stadien prügelnde Hooligans und hilflose Polizisten. Aber im Internet?
Rechtsfreier Chaosraum?
Ursula von der Leyen ist besorgt, denn ohne Kontrolle drohe „das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann.” Der Chef des Kanzleramtes sekundiert: „Müssen wir nicht die Menschen vor Denunziation, Entwürdigung oder unseriösen Geschäften schützen wie im Zivilrecht?” Der Netzbewohner staunt, denn seiner Erfahrung nach galten von jeher Zivil- wie auch Strafrecht genauso im Internet. Die Anonymität im Internet ist eine Illusion. Wer sich daneben benimmt, darf mit Konsequenzen rechnen.
Natürlich wird im Internet betrogen, beleidigt und gemobbt. Genauso wie überall sonst – auf Schulhöfen, in Büros und sicher auch auf den Fluren des Parlaments. Oder sollten wir wegen der Hütchenspieler jetzt die Innenstadt von Oer-Erkenschwick besser auch zum rechtsfreien Raum erklären?
Katharina Borchert ist Chefredakteurin des Internetportals DerWesten