Essen. In der Grugahalle traf sich vier Monate nach der Karstadt-Insolvenz die ,größte Gläubigerversammlung der Welt'. Sie entschied, das ein Insolvenzplan entstehen soll - die letzte Chance.
174 Jahre Berufserfahrung Karstadt stehen vor der Grugahalle und rauchen noch rasch ihre Stresszigaretten: ein Kollege aus Bottrop, Filiale kämpft, vier Kollegen aus Altenessen, Filiale seit dem Winter geschlossen. „Unser Sozialplan stand schon, da kam die Insolvenz dazwischen”, sagt Ursula Stange, die frühere Kassiererin im Kaufhausrestaurant: „Sieben Monate waren wir freigestellt, seit November sind wir arbeitslos.”
Jetzt geht es gleich hinein in die Gläubigerversammlung, „wir wollen uns informieren, dass man mal was hört”; hinein in die Grugahalle, rechts vom Eingang hängt das Veranstaltungsplakat „Nuhr die Ruhe”, links das Veranstaltungsplakat „Total Bock auf Remmi Demmi”.
Als hätte sich jemand was dabei gedacht, denn irgendwo dazwischen schwankt ja auch die allgemeine Erwartungshaltung, und so stehen im Innern als erstes die Männer mit Metalldetektoren: „Wenn Sie mal alles aus den Taschen nehmen . . .”
7700 Plätze
7700 blau ausgeschlagene Sitze in der Grugahalle. Die größte Gläubigerversammlung der Welt. Montag Arcandor, Dienstag Karstadt, Mittwoch Quelle. Freilich schnurrt sie auch an diesem Vormittag wieder rasch zusammen: Es kommen 162 Gläubiger(vertreter), Lieferanten und Mitarbeiter, Vermieter, vor allem aber auch Rechtsanwälte; alle zusammen repräsentieren sie 25 562 Forderungen – eine sprechende Zahl, die im Alleingang das ganze Karstadt-Desaster beschreibt.
Man kann es aber auch in Euro packen: Die 162 Leute stehen für 1,82 Milliarden Euro Karstadt-Schulden, etwa zwei Drittel der Gesamtsumme. „Wir erwarten ein neues Konzept”, sagen sie, aber die meisten sagen: „Wir erwarten nicht viel.”
Zumindest bleibt der Aufstand aus, den mancher vorhersagte: Denn so eine Gläubigerversammlung ist streng formalisiert – und „formalisiert” ist nur das Fremdwort für „langweilig”, wenn es etwa zur Eröffnung heißt: „Der Ablauf dieses Termins folgt dem in der Insolvenzordnung vorgesehenen Ablauf.”
2940 Seiten Insolvenzrecht
Auf dem Podium sitzen Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg (68) und seine Mitarbeiter, unten vor ihnen der Gläubigerausschuss und der Betriebsrat und dahinter der ganze Rest. Und an der Seite Rechtspfleger Rainer Kropp, zwei Assistenten und zwei Protokollführer, Mitarbeiter des Amtsgerichts, sie leiten die Versammlung und haben den „Hamburger Kommentar Insolvenzrecht (InsO, EulnsVO, VbrinsVV)” zur Hand – 2940 hilfreiche Seiten, falls mal eine kleine Meinungsverschiedenheit entsteht.
Görg und seine Mitarbeiter, sie werben an diesem Vormittag: Karstadt nicht zu zerschlagen, wie es die Gläubiger da unten beschließen könnten – sondern Karstadt zu retten zu versuchen, wie es die Gläubiger am Nachmittag tatsächlich dann beschließen.
Es ist erst eine Bilanz des Schreckens, eine Chronik des Niedergangs („Mit Herrn U. begann die Zeit, die Substanz liquide zu machen”), die dann zu neuen Chancen übergeht: „Solange wir durch Fortführung keine Werte verbrennen, ist Fortführung das gebotene Maß”, sagen sie, oder: „Was wir versuchen, ist, das Unternehmen so zu stabilisieren, dass wir einen tatkräftigen neuen Investor finden.”
„Der Wert ist ein Hoffnungswert”
Aber sie sagen auch, damit eins klar ist: „Wir sollten uns nicht vormachen, dass das Ding viel wert ist. Der Wert des Unternehmens ist ein Hoffnungswert.”
Und dann geht es immer wieder um die ökonomischen Details: „Atypischer Lieferantenpool . . . Abrechnung abgetretener Untermietansprüche . . . Neugläubigerschutz . . . Mutter-Tochter-Schwester-Gesellschaft . . . opco/propco-Geschäfte.”
Dreieinhalb Stunden geht das so bis zur ersten Pause; die Damen vom früheren Altenessener Kaufhausrestaurant sitzen in Reihe 18, und ihre Körpersprache sagt: Uns hat's erschlagen.
„Da kommen die mit Fremdwörtern, die kennt man gar nicht”, sagt eine von ihnen erschöpft. Aber im nächsten Moment gewinnt schon wieder die Ruhrgebietsklappe in ihr: „Und ich hab' gedacht, ich müsste hier nur meine Kontonummer abgeben.”