Bochum. Die Situation abgehängter Stadtteile verfestigt sich. Denn schlechte Bildungschancen werden allzu oft vererbt. Der Bochumer Soziologe Klaus Peter Strohmeier hat die Verteilung der Armut im Ruhrgebiet untersucht. Die Armenhäuser des Ruhrgebiets liegen vor allem im Norden.

Es ist schlimm, wenn alle Vorurteile bestätigt werden, aber die Statistik ist gnadenlos: Professor Klaus Peter Strohmeier sagt, er brauche nur die Adresse eines Schulanfängers zu kennen, um seinen Gesundheitszustand einschätzen zu können. Im Essener oder Mülheimer Süden sind drei Viertel bei der Schuleingangsuntersuchung „ohne Befund”. In den nördlichen Stadtteilen ist weniger als ein Viertel vollkommen gesund. Der Bochumer Soziologe sagt: „Wo vor 55 Jahren das Wunder von Bern entstand, in den Arbeiterstadtteilen im Norden des Reviers, ist heute rund ein Drittel der Kinder stark übergewichtig und kann nicht mehr auf einem Bein stehen.” Also auch in Schalke.

Armut macht krank, und sie geht oft einher mit Vereinzelung, Hoffnungslosigkeit und schlechter Bildung – dem Armutsrisiko Nummer eins. Aber warum nur bleibt die Adresse der Armut immer dieselbe? „Schlechte Bildungschancen werden in der Familie sozial vererbt!”

Tatsächlich folgt die Armut im Ruhrgebiet noch immer geologischen Linien – der Lage der Flöze. Die Kohle lag im Süden des Reviers nahe an der Oberfläche und gen Norden tiefer. Von Süden nach Norden wanderte auch der Bergbau mit seinen Arbeitern. Sein Niedergang hat also vor allem den Norden getroffen.

Abi-Quote in Gelsenkirchen nur halb so hoch wie in Münster

Und die Armut verfestigt sich heute in der Emscherzone. Überall, wo 1987 (bei der letzten Volkszählung) die meisten Arbeiter lebten, ist heute die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Damals reichte für die Menschen der Volksschulabschluss, heute verlassen hier besonders viele Jugendliche ganz ohne Abschluss die Schule. „Die Abi-Quote in Gelsenkirchen beträgt 23 Prozent. Die Hälfte von Münster.” Selbst die Sonderschulquote ist abhängig von der Adresse.

Es gibt noch weitere Anhaltspunkte, wenn der Forscher ungleiche Lebenschancen misst. Der Ausländeranteil steht automatisch im Verhältnis zur Hartz-IV-Quote – was kein Wunder ist, denn die türkischen Arbeiter wurden rund um die Zechen und Hütten angesiedelt, wie zuvor die Polen.

Die meisten Kinder wachsen heute in den benachteiligten Stadtteilen auf. Im Süden der A 40 sind die Städte deutlich älter. Eigentlich braucht der Forscher aber nur auf die Wahlbeteiligung zu schauen, aus dieser Sicht sind die Abgehängten: „Gestaltungspessimisten in demokratiefreien Zonen.” Demokratiefrei? So muss man es wohl nennen, wenn mehr als 70 Prozent der Berechtigten nicht wählen.

Die neue Mitte gibt es nirgends

Armut geht einher mit hoher Verdichtung – da benimmt sich das Ruhrgebiet wie jede Großstadt. Die Mittelschicht ist an die Ränder der Städte und der Region gezogen. Deswegen kann Strohmeier sagen: „Die neue Mitte gibt's nirgends.” „Einen Stadtteil mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote finden Sie etwa in Bottrop nicht”, erklärt Strohmeier. Eher verschärfen sich die Gegensätze zwischen Oben und Unten. Die neue Lücke müssten die Parteien eher umwerben, einen Zukunftsmarkt, wenn die Abgehängten wieder wählen gehen würden.

Wie also kann man diesen Teufelskreislauf durchbrechen? „Es sind nur dauerhafte Erfolge zu erzielen, wenn man in Kinder investiert und früh die Eltern einbezieht”, sagt Strohmeier. Und lobt den Ansatz von Familienminister Armin Laschet (CDU), Kindergärten zu Familienzentren weiter zu entwickeln.

Als vorbildlich sieht der Forscher auch das Projekt Soziale Stadt in Gelsenkirchen-Bismarck an: „Keine Gewaltkriminalität, der Trend zu immer mehr Leerständen ist gestoppt, ebenso der Fortzug.” Und an der ev. Gesamtschule machen alle Schüler einen Abschluss. Wie das geht? Die Schüler werden am Bau ihrer Klassenräume beteiligt, die Mieter am Umbau ihrer Wohnungen. Die zentrale Idee ist: Selbermachen! Das schafft Selbstvertrauen und soziale Bindungen. Damit schlechte Adressen irgendwann zu guten werden.