Witten. Jedes fünfte Kind in Witten ist arm. Eine Neunjährige berichtet, wie ihr Alltag voller Entbehrungen ist. Im Urlaub war das Mädchen mit ihrer Familie noch nie. Und Frühstück isst sie "nur manchmal".
Nathalie* ist neun Jahre alt. Sie hat vier Geschwister, wobei zwei ihrer Brüder in einer Wohngruppe leben. Nathalies Familie lebt von Hartz IV. Sie ist arm – wie jedes fünfte Kind in Witten, das im Jahr 2008 unterhalb der Armutsgrenze lebte. Das besagt ein Armutsbericht des Kreises. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung hat Witten in dieser Statistik die höchste Armutsquote im gesamten Kreis.
„Ich möchte so gerne mal mit meiner Mutter in den Urlaub fahren, aber das geht nicht, weil wir zu arm sind”, sagt die neunjährige Nathalie. Was es heißt, Dinge zu entbehren, hat sie früh gelernt. Seit ihrer Geburt war sie nicht einmal mit ihrer Familie im Urlaub, sie kann nicht mit Freundinnen ins Kino gehen oder einfach mal in den Zoo.
Nathalies Eltern sind beide arbeitslos, sie sind eine deutsche Hartz-IV-Familie, die vom Jugendamt betreut wird. Jeden Tag geht die Neunjährige nach der Grundschule zur sozialen Gruppenarbeit. Dort isst sie zu Mittag, wird bei ihren Hausaufgaben betreut und spielt mit anderen Kindern. „Ich gehe gerne dahin”, sagt das Mädchen. Um 16.30 Uhr geht sie dann nach Hause.
Offene Gespräche über die Armut
Frühstück gibt es für Nathalie „nur manchmal”. Sie bekommt hin und wieder zwei oder drei Euro Taschengeld, erzählt sie. Aber: „Ich kann irgendwie nicht sparen, ich weiß nicht warum.” Häufig gebe sie ihrem Bruder Geld, damit er sich eine Spielfigur kaufen kann. Sich selbst kauft sie nur selten was. Letztens, da habe sie aber Hannah-Montana-Schuhe von ihrer Mutter bekommen, da hat sie sich gefreut. Ansonsten trägt sie häufig die Kleidung von ihren Cousinen auf.
Wenn sie sieht, dass ihre Mitschüler Markenkleidung tragen, denkt sie: „Die hätte ich auch gerne”. Aber ihre Mutter sage dann immer, dass sie arm seien und dafür kein Geld da ist. In Nathalies Familie wird offen über die finanziellen Probleme gesprochen. Bei ihren Freundinnen sei das jedoch kein Thema, so die Neunjährige.
Zu essen sei immer genügend da. „Wenn wir nichts mehr haben, fragt meine Mutter meine Tante oder meinen Onkel”, sagt die Grundschülerin und fügt schnell hinzu: „Aber sie gibt es ihnen dann immer später wieder zurück.”
Zu Weihnachten gibt es nur Kleinigkeiten
Schon jetzt freut sich Nathalie auf Weihnachten. „Ich hätte gerne ein Diddl-Freundebuch”, sagt sie. Seit zwei Jahren wünscht sie sich auch eine Nintendo-DS-Spielekonsole, aber sie ist realistisch: „Wir sind ja fünf Kinder und wir sind arm. Meistens gibt es da nur Kleinigkeiten.” Sie selbst möchte ihre Familie mit selbst gemalten Bildern überraschen.
Pläne für die Zukunft hat Nathalie auch schon: Sie möchte mal auf die Gesamtschule gehen und Eiskunstläuferin werden. Zwar gehe sie bisher nicht Eislaufen, aber Inlineskaten und das sei quasi das gleiche. Falls das mit dem Eislaufen nicht klappt, möchte sie Tierärztin werden, denn ihre Familie habe selbst fünf Katzen und Nathalie mag Tiere. Kinder möchte sie dann auch haben, aber nicht so viele.
Ob reiche Menschen glücklicher sind? „Das weiß ich nicht.” Aber für sie steht fest: „Später möchte ich mal reich sein.”
* Name geändert