Washington. Der andere „Palin-Effekt”: In den USA wollen immer mehr Paare ein Kind mit Down-Syndrom adoptieren und aufziehen. Der Grund: Auch die Vize-Präsidentschaftskandidatin Palin hat ein behindertes Kind. Doch zugleich liegt die Abtreibungsquote bei fast 90 Prozent.

Die Love Story von Dawn Hermann und Steven Schumm ist eigentlich nichts Besonderes. Kennengelernt haben sich die beiden bei der Arbeit in der Küche eines Restaurants, beide sind Elvis-Fans und hatten gleich viel Gesprächsstoff, den Heiratsantrag hat Steven nach einem Bowlingabend gemacht, und die Hochzeit fand vor ein paar Tagen in Las Vegas statt – am Valentinstag. Nur eines unterscheidet diese Liebesgeschichte doch von so vielen anderen: Beide, Steven und Dawn, leiden am Down-Syndrom.

Ehen, bei denen beide Partner am Down-Syndrom leiden, sind immer noch extrem selten, aber die Zahl steigt. Und das Beispiel illustriert einen breiteren Trend: Frühförderung, neue medizinische und psychologische Erkenntnisse, umfassende Hilfe vom Staat und großes privates Engagement ermöglichen immer mehr Menschen mit Down-Syndrom ein wenigstens teilweise selbständiges Leben, in vielen Fällen auch einen guten Schulabschluss, eine Berufsausbildung und ein erfolgreiches Arbeitsleben. Mit dieser langfristigen Entwicklung verbindet sich neuerdings anderer ein Trend: Immer mehr Paare wollen ein Kind mit Down-Syndrom adoptieren. Agenturen berichten von immer längeren Wartelisten.

Ihre Kandidatur ist längst Geschichte

Warum? Und warum gerade jetzt? Die Antwort lautet, jedenfalls zum Teil: „Palin-Effekt”. Damit war zwar im letzten Sommer zunächst der Medienwirbel gemeint, den die Gouverneurin von Alaska ausgelöst hat, als John McCain sie zur Vize-Kandidatin machte. Doch dieser „Palin-Effekt” ist verpufft, und ihre Kandidatur längst Geschichte. Nachhaltiger hat auf viele Amerikaner Sarah Palins Familiengeschichte gewirkt: Als sie ihr fünftes Kind erwartet hat, erfuhr sie im vierten Schwangerschaftsmonat, dass es ein Kind mit Down-Syndrom sein würde. Sie und ihr Mann haben sich dennoch für das Kind entschieden. Im letzten April kam Trig zur Welt. Millionen von Amerikanern sahen Sarah Palin im Wahlkampf mit dem Kind auf dem Arm.

Welche Wirkung diese Bilder hatten, wissen vor allem die Familien, in denen es selbst Kinder mit Down-Syndrom gibt: „Die Leute schauen uns ganz anders an, und jetzt trauen sie sich, uns auch einmal anzusprechen oder etwas zu fragen. Früher haben immer nur die Kinder uns angestarrt, und die Erwachsenen haben verschämt weggeschaut”, sagt Adrienne Pedlikin aus Washington, die einen zehnjährigen Sohn mit Down-Syndrom hat. „Viele Eltern sind aktiv und leisten Aufklärungsarbeit, aber eine so prominente Figur wie Sarah Palin bringt einfach noch einmal eine ganz andere Aufmerksamkeit”, sagt David Tollesson vom Nationalen Verband für Familien mit Down-Syndrom.

Abtreibungsquote steigt dennoch

Aber wieso führt das Interesse am Thema zur Bereitschaft, selbst ein Kind mit Down-Syndrom zu adoptieren? „Das alte Stigma von früher ist Gott sei Dank weg”, sagt Amy Allison von einer Vermittlungsagentur in Kansas, „früher galten DS-Kinder als nicht vermittelbar, heute denken die Menschen anders.” Der Trend sei auch nicht erst durch Sarah Palin ausgelöst, sondern durch sie nur verstärkt worden. „Ich hatte neulich ein Kind mit Down-Syndrom, das ich vermitteln konnte”, berichtet Allisons Kollegin Katie Sharp, „15 Familien hätten es genommen und haben sich heftig darum bemüht.” Die Motivation sei unterschiedlich, aber fast immer spiele eine Vorerfahrung in der Familie eine Rolle. Oft gibt es schon Kinder mit DS, so dass die Eltern vor den vielen Problemen nicht die Angst haben, die andere Eltern hätten.

Andere wollen, oft auch aus religiösen Gründen, dazu beitragen, dass weniger behinderte Kinder abgetrieben werden. Denn bislang steigt trotz der immer besseren Entwicklungschancen für behinderte Kinder und der geringeren gesellschaftlichen Stigmatisierung die Abtreibungsquote. Grund ist die vorgeburtliche Diagnostik, die oft schon in der zehnten Schwangerschaftswoche erkennen lässt, dass ein Kind an der Genommutation leidet. Knapp 90 Prozent aller Kinder mit Down-Syndrom werden in den USA abgetrieben.

"Weil das mein Baby ist"

„Ich musste mich fragen lassen, warum ich das Kind überhaupt habe”, erzählt Tia Marsili, eine Mutter aus Vienna, einem Vorort in Washington, „sogar in meiner eigenen Familie hat jemand gesagt: Warum hast du sie nicht abgetrieben? Ich war geschockt, aber ich habe gesagt: Weil ich sie liebe, weil das mein Baby ist.”

Dawn Hermann und Steven Schumm standen für ein Interview übrigens nicht zur Verfügung. Sie sind noch auf Hochzeitsreise.

Genmutation Trisomie 21:

Als Down-Syndrom (DS) bezeichnet man eine spezielle Genommutation beim Menschen, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach (Trisomie) vorliegen. Daher lautet eine weitere Bezeichnung Trisomie 21. Etwa 90 Prozent der ungeborenen Kinder werden nach einer vorgeburtlichen Untersuchung abgetrieben. Ärzte weisen darauf hin, dass die geistigen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder zwar verzögert seien, insgesamt jedoch lange deutlich unterschätzt wurde.

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