Essen. Tausende Singvögel infizieren sich mit einem Parasiten. Naturschützer raten: Futterstellen und Tränken entfernen. „Das große Sterben begann im Mai. Die schiere Masse an toten Tieren ist ein einmaliges und alarmierendes Ereignis”, sorgt sich NABU-Vogelexperte Ingo Ludwichowski.

An vielen Stellen ist es seltsam ruhig geworden – als wäre der Sommer verstummt. In Gärten und in Parks, auf dem Balkon und auf dem Wanderweg. Schuld ist der Einzeller mit dem komplizierten Namen „Trichomonas gallinae”. Nach Schätzungen des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) hat dieser Parasit bereits über 10 000 Singvögel auf dem Gewissen. „Das große Sterben begann im Mai. Die schiere Masse an toten Tieren ist ein einmaliges und alarmierendes Ereignis”, sorgt sich NABU-Vogelexperte Ingo Ludwichowski.

Die meisten Funde gibt es in NRW

Grünfinken, Buchfinken, Kernbeißer, Gimpel, Elstern und Amseln – mehr als 1500 infizierte Tiere wurden bisher in Deutschland gefunden, über 300 davon in NRW. „Uns wurden Trichomonas-Verdachtsfälle aus den Kreisen Borken, Mettmann und Unna gemeldet. NRW ist schon jetzt das Land mit den meisten Totfunden”, sagt Ludwichowski. Und: „Die Dunkelziffer wird noch viel höher sein. Viele der kranken Vögel werden von Katzen oder anderen Tieren gefressen, bevor sie überhaupt entdeckt werden.”

Tauben tragen den Parasiten häufig in sich, auch Hühner und Greifvögel. Meist ohne tödliche Folgen für die erwachsenen Tiere. Warum also endet die Begegnung mit dem Einzeller dann gerade für Singvögel tragisch? Ludwichowski: „Darauf haben wir keine Antwort. Vielleicht, weil sie mit diesem Parasiten zuvor nie in Kontakt kamen, der Körper nie gelernt hat, sich zu wehren.”

Meist werden die Trichomonaden über das Wasser der Vogeltränken übertragen. Der Parasit setzt sich im Rachen der Vögel fest, es bildet sich gelblicher Schleim, an dem die Piepmätze schließlich ersticken. „Infizierte Vögel haben verklebte Schnäbel, sind kurzatmig, wirken apathisch und trinken viel. Ihr Gefieder ist meist stark aufgeplustert”, erklärt Ludwichowski.

Deshalb rät der NABU, sämtliche Vogelhäuser zu schließen, kein Wasser und kein Futter mehr auszugeben. „Die Fütterung sorgt nur für eine Konzentration der Tiere und damit für erhöhte Ansteckungsgefahr. Und durch den Regen der jüngsten Tage gibt es ohnehin genug unverseuchtes Wasser.”

Es ist die einzige Maßnahme, die aus Sicht der Naturschützer sinnvoll erscheint. Natürlich haben Ludwichowski und seine Kollegen über andere Wege nachgedacht. Über Medikamente im Wasser der Vogeltränken. Aber der Experte weiß: „Das würde nicht funktionieren, weil solch ein Mittel einfach nicht dosierbar wäre. Der eine Singvogel trinkt einmal an der Tränke, der andere zehnmal. Außerdem tummeln sich dort ja auch andere Vogelarten, die nicht betroffen sind.”

Erhebliche Lücken in der Umweltüberwachung

Doch offenbart der öffentliche Aufruf, den der NABU im vergangenen Monat startete und durch den viele Todesfälle erst bekannt wurden, nach Ansicht der Naturschützer bundesweit erhebliche Lücken in der Umweltüberwachung. So sei in vielen Fällen unklar, wer für das Erfassen von Krankheitserregern bei Wildvögeln verantwortlich ist.

Einige staatliche Untersuchungsämter der Bundesländer lehnten derzeit eine klinische Untersuchung der Tiere aus Kostengründen ab. „Wir sehen hier eine erhebliche Regelungs- und Finanzierungslücke, die bundesweit dringend behoben werden muss“, sagt Ludwichowski.

Seine Forderung: In begründeten Verdachtsfällen müsse es künftig einfach möglich sein, auffälligen und ungeklärten Krankheits- und auch Vergiftungserscheinungen in den Wildtierpopulationen schneller und unbürokratischer nachzugehen.