Essen. Beim persischen Neujahrsfest hat ein Afghane in der Essener Grugahalle um sich geschossen und zwei Landsleute verletzt. Der Schütze ist verschwunden; das Motiv ist unklar - die Polizei steht vor Rätseln. Eine 15-köpfige Mordkommission der Essener Kripo ist eingerichtet.
Eine 15-köpfige Mordkommission der Essener Kripo arbeitet sich seit Montagfrüh an einer bisher rätselhaften Schießerei in der Grugahalle ab. Fest steht bisher nur: Beim Festival „Nowrooz 2009 Mega Concert” zur Feier des uralten Frühlingsfestes aus dem Mittleren Osten hat ein Afghane um sich geschossen und zwei 21-jährige Landsleute verletzt. Einer ist nach einer Notoperation außer Lebensgefahr, der zweite Mann wurde nur leicht verletzt. Der Schütze ist ebenso verschwunden wie ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, dessen Rolle in dem Drama noch völlig unklar ist.
Wilde Gerüchte um Familienkonflikt oder Kulturkampf
Schon über den Ablauf der Auseinandersetzung gibt es wenig Klarheit. „Die sprechen plötzlich ja so gut Deutsch”, sagt ein Polizist bissig. Und Corinna Danielzik, Veranstaltungsmanagerin der Grugahalle, sagt am Nachmittag: „Die Gerüchte werden immer zahlreicher und immer wilder.” Was die Polizei inzwischen halbwegs sicher weiß: Die Schüsse fielen, als das Festival schon vorbei war, gegen 1.15 Uhr am Montagmorgen. Trotzdem waren noch rund 600 Besucher in der Halle, und nebenan in der Messe wurde gerade die Weltpferdemesse „Equitana” (213.000 Besucher) abgebaut.
Täter wie Opfer sollen am Vorabend beim ersten Nowrooz-Konzert in Hamburg gewesen sein und könnten sich gekannt haben. Zeugen berichten, ein Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens habe dem Täter bei der Flucht durch den Lastenaufzug geholfen. Dieser Mitarbeiter war am Montag spurlos verschwunden, steht aber nach unbestätigten Angaben nicht mehr unter Tatverdacht. Vermutungen, der Mann sei als Geisel genommen worden, bezeichnen Ermittler inoffiziell als „Blödsinn”. Damit bietet sich Spekulationen ein weites Feld. Familienkonflikt? Kulturkampf? Dafür gäbe es reichlich Anlässe in der langen Geschichte des Festes.
Vom Fest zur Protestkundgebung gemacht
Shabnam Suraya
Die Künstlerin aus Tadschikistan hat bereits 2008 eine erfolgreiche Deutschlandtournee absolviert. Ihre Tanzeinlagen sind spektakulär, ihre Stimme ist es weniger.
Über ihr Outfit beim „Nowrooz”-Festival urteilt ein Konzertbesucher: „Ihre Kleider – meine Güte! Das erste war aus der Originalverpackung von Straußensteaks umgearbeitet, und das zweite war zuvor wohl Omas Trauergardine gewesen.”
Nowrooz, auch Newroz genannt, ist das älteste Fest des Mittleren Ostens. Seine Wurzeln reichen zurück bis ins persische Reich der Antike. Es bezeichnet den Beginn des Sonnenjahres und fällt deshalb mit dem Frühlingsanfang zusammen. Gefeiert wird es von Indien und Pakistan über die kurdischen Gebiete des Iraks, der Türkei und Syriens bis in die ehemaligen östlichen Sowjetrepubliken wie Tadschikistan, Turkmenistan oder Kirgisien.
Mit dem Wiederaufflammen der Kurdenkonflikte im Irak und der Türkei politisierte die Arbeiterpartei PKK die Familienfeste mit Kinderbescherung und andere „Kulturfeste” in der Grugahalle zu Protestkundgebungen gegen die Türkei, was nicht selten zu Großeinsätzen der Polizei führte. Eine Erinnerung daran bekamen am 29. November etliche tausend Besucher der Motor Show in der Messe neben der Grugahalle, als sie sich vor Absperrungen und einem massiven Polizeiaufgebot wiederfanden: Die Polizei befürchtete damals Ausschreitungen wegen eines abgesagten kurdischen Festes. Angesichts der Polizeipräsenz beließen es die gut 800 Kurden damals bei einer Spontandemo „Freiheit für Kurdistan”.
Superstars aus Tadschikistan
Solcher politischer Umtriebe war „Nowrooz 2009” aus Sicht der Hallenleitung unverdächtig. Veranstalter der Party war das Hamburger Unternehmen „DAF Entertainment”, das seit 2008 in ganz Europa gehobene Partys für die afghanische Gemeinschaft veranstaltet. Zu der zählt DAF nicht nur Afghanen, sondern auch Exilanten aus dem Mittleren Osten und der Ex-Sowjetunion.
Zwei Superstars von DAF, die in Essen auftraten, sind die tadschikische Tänzerin und (manchmal auch) Sängerin Shabnam Suraya und ihr Partner Jonibek Murodov, der ihr Cousin oder ihr Mann oder beides sein soll. Beide hatten am Samstag mit diversen afghanischen Künstlern bei der Hamburger „Nowrooz”-Ausgabe im Audimax auf der Bühne gestanden und waren dann zum zweiten Konzert nach Essen eingeflogen worden.