Frankreichs Präsident Sarkozy und sein Außenminister Kouchner fordern von der iranischen Regierung die sofortige Freilassung der franzöischen Studentin.
Sichtlich überrascht vom plötzlichen Beginn des Teheraner Spionage-Prozesses hat Nicolas Sarkozy die sofortige Freilassung der angeklagten französischen Studentin gefordert. „Das ist unsere oberste Priorität”, machte der Staatspräsident am Montag deutlich. Auch Außenminister Bernard Kouchner hat sich in einem flammenden Appell an die iranische Regierung gewandt: „Die Vorwürfe sind haltlos, Clotilde Reiss ist in keiner Weise schuldig.”
Angesichts der Hartleibigkeit der Machthaber im Iran beschwören sie in Frankreich zugleich das Prinzip Hoffnung. Wird das iranische Revolutionstribunal möglicherweise ähnlich verfahren wie bei der amerikanisch-iranischen Journalistin Roxana Saberi, die man wegen Spionage zu acht Jahren Haft verurteilte, um sie schon zwei Wochen später auf freien Fuß zu setzen? „Wie kann eine junge Französin Millionen Menschen zu Demonstrationen anstiften, das ist doch nicht seriös.” Bernard Kouchner ist spürbar ungeduldig. Er sieht die junge Französin, ebenso wie die mitangeklagte iranisch-französische Botschaftsangestellte Nazak Afshar als unschuldige Opfer eines finsteren Komplotts.
Die Aussage Afshars, dass sich die französische Botschaft in Teheran als Zufluchtsort für verfolgte Demonstranten angeboten habe, wird von Kouchner bestätigt. „Das ist eine Vorschrift aller europäischen Länder, das ist unsere demokratische Tradition”, bekräftigt er gegenüber dem „Parisien”. Französische Freunde, Professoren und Verwandte zeichnen unterdessen ein Bild von Clotilde Reiss, das überhaupt nicht dem einer trickreichen Geheimdienstagentin oder einer fanatischen Demonstrantin entspricht. Ein Bild, das folglich gar nicht passen will zu den obskurem „Geständnis”, das von der eingeschüchterten Angeklagten offenbar erpresst wurde.
Wer verbirgt sich nun hinter der blassen Frau, die sichtbar verängstigt auf der Teheraner Anklagebank hockt? „Eine wohlwollende, äußerst höfliche Frau, die sehr diskret ist, aber auch sehr spontan sein kann”, sagten Freunde dem „Parisien”. „Fleißig, ausdauernd und den Dingen auf den Grund gehend”, ergänzt ihr Vater, Remi Reiss.
Dass Clotilde Reiss schon früh eine Faszination für das Land in Vorderasien entwickelte, liegt offenbar in ihrer Kindheit begründet. Nach dem frühen Tod der Mutter war es eine iranische Tagesmutter, die sich um das fünf Jahre alte Mädchen kümmerte. Später begann sie, die persische Sprache, Farsi, zu lernen. „Sie liebt die Sprache ebenso wie die tausende Jahre alte Geschichte des Iran”, sagt der Vater. Ein halbes Dutzend Mal bereiste Clotilde Reiss den Iran, ehe sie sich nach ihrem Politikstudium vor knapp einem Jahr entschloss, für längere Zeit in das Land zu gehen.
Als Lektorin an der TU Ispahan gab sie Französischkurse, nebenbei bereiste sie den Iran. Zuerst wohnte sie noch auf dem Campus, dann lebte sie – offenbar als einzige Ausländerin – zurückgezogen in einem hauptsächlich von Armeniern bewohnten Stadtteil Ispahans. Anfang Juli, zum Zeitpunkt der Verhaftung, schmiedete sie Zukunftspläne für eine Dissertation oder ein Volontariat bei einer internationalen Organisation. „Clotilde ist der denkbar kleinste Fisch, den sie fangen konnten”, sagt ein Freund.