London. Auf den ersten Blick kann man sich freuen über die Ergebnisse der Integrationsstudie: Muslime schätzen Deutschland, fühlen sich sogar wohler und dem Staat verbundener als die Deutschen. Auf den zweiten Blick wirft die Gallup-Studie allerdings mehr Fragen als Antworten auf.
Denn wenn uns Meinungsforscher mit positiven Zahlen derart überraschen können, dann haben wir, trotz unserer langen Beschäftigung mit dem Thema Integration, nicht richtig hingeschaut, nicht zugehört und vielleicht falsch gefragt.
Integration bedeutet eben nicht Konformität der Kleidung; sie lässt sich nicht verlässlich an Äußerlichkeiten messen. Die Mehrheit der befragten Muslime, nämlich 70 Prozent, würden das Kopftuch nicht verbannen wollen - aber gleichzeitig steht sie hinter dem deutschen Justiz- und Regierungssystem wie nur wenige Deutsche.
Vertrauen in die Polizei oder Einstellung zu Spätabtreibung?
Wie messen wir also Integration? Diese Frage stellt sich auch bei der jüngsten Studie. Nehmen wir die Verbundenheit mit nationalen Feiertagen, Institutionen, das Vertrauen in die Polizei und die Politik als Lackmustest? Dann gehört die Integrationsdebatte auf Grundlage der positiven Gallup-Ergebnisse neu aufgerollt.
Wenn wir jedoch die Einstellung von Muslimen zu Spätabtreibung, Affären oder Homosexualität zum Gradmesser gelungener Integration machen wollten, dann würden sie die ewigen Zweifler bestätigen.
Schlusslicht und trotzdem beliebt
Allerdings, auch das sei gesagt, unterschätzen wir andere und überschätzen uns: Briten und Deutsche pflegen in diesen Fragen trotz ihres liberalen Selbstanstrichs eine konservativere Haltung als weitläufig angenommen - und sind näher am Lebenskompass vieler Muslime ausgerichtet als gedacht.
Die Studie verdeutlicht den Diskussionsbedarf zum Thema - nicht nur, weil die öffentliche Wahrnehmung von Integration ganz klar korrekturbedürftig ist. Mehr noch: Wenn 97 Prozent der Muslime meinen, Deutschkenntnisse seien für die Integration wichtig, dann gilt zu klären, warum der gute Wille sich viel zu oft nicht in die Tat umsetzt.
Deutschland ist in der westlichen Welt Schlusslicht bei der Integration und dennoch Sympathieträger bei Muslimen - dieser Widerspruch birgt zumindest den Ansporn, genauer zu erkunden, wie man diese Loyalität auch in Teilhabe an Bildung, Jobs und deutschem Alltag übertragen könnte. Freundliches Desinteresse unsererseits reicht da nicht.