London. Eine aktuelle Studie widerlegt gängige Vorurteile über Muslime in Deutschland. Das Fazit: Sie identifizieren sich viel stärker mit der deutschen Gesellschaft als gemeinhin angenommen. Und haben oftmals mehr Vertrauen in Institutionen als die Gesamtbevölkerung.
Muslime mit deutschem Pass stehen einer internationalen Untersuchung zufolge der deutschen Gesellschaft loyaler gegenüber als gemeinhin angenommen. Von den hier lebenden Muslimen identifizieren sich 40 Prozent mit Deutschland, wie der am Donnerstag in London veröffentlichte Gallup Koexistenz-Index 2009 ergab. Von den Befragten aus der Gesamtgesellschaft hätten dies hingegen nur 32 Prozent angegeben. Während von der Allgemeinheit nur 39 Prozent glaubten, dass die hier lebenden Muslime sich gegenüber Deutschland loyal verhalten, waren der Umfrage zufolge von den Muslimen selbst 71 Prozent dieser Meinung.
"Diese Studie zeigt, dass viele Annahmen über Muslime und Integration weit von den eigentlichen Tatsachen entfernt sind», erklärte die geschäftsführende Direktorin des Gallup Center für Islamstudien, Dalia Mogahed. Deutsche Muslime wollten «ein Teil einer breiteren Gemeinschaft sein und sich noch mehr in die Gesellschaft einbringen».
Wenig Vertrauen in Bundeswehr und Medien
Mogahed hob hervor, dass die Muslime in Deutschland vielfach mehr Vertrauen in deutsche Institutionen hätten als die Gesamtgesellschaft. So genössen deutsche Gerichte bei 73 Prozent der Muslime und bei 49 Prozent der Gesamtgesellschaft Vertrauen, die Bundesregierung bei 61 Prozent der Muslime und 36 Prozent der Gesamtgesellschaft, beim Wahlverhalten liege das Verhältnis bei 62 zu 42 Prozent. Weniger Vertrauen als der Durchschnitt haben Muslime in Deutschland der Studie zufolge in die Bundeswehr (55 gegenüber 67 Prozent) und in die Medien (28 zu 34 Prozent). «Das von deutschen Muslimen den Institutionen des Landes entgegengebrachte Vertrauen beweist, dass starke religiöse Überzeugung nicht zwangsläufig mit mangelnder Loyalität einhergehen muss», erklärte Mogahed.
Die Vorstellungen über Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration stimmen der Studie zufolge bei Muslimen und Gesamtgesellschaft weitgehend überein. 96 Prozent der Muslime und 96 Prozent der Befragten aus der Gesamtgesellschaft gaben an, dass die Beherrschung der deutschen Sprache eine wesentliche Voraussetzung für Integration darstelle. Als weitere bedeutende Faktoren wurden das Finden einer Arbeit (je 94 Prozent) und bessere Ausbildungsmöglichkeiten (95 Prozent der Muslime und 86 Prozent der Gesamtgesellschaft) angegeben.
Mehrheit gegen Sex vor der Ehe
Deutliche Unterschiede stellte die Umfrage bei den Wertvorstellungen fest. Während in der deutschen Gesamtgesellschaft 68 Prozent homosexuelle Handlungen «moralisch vertretbar» finden, sagten dies nur 19 Prozent der befragten Muslime. Sex zwischen unverheirateten Paaren finden in der Gesamtgesellschaft 88 Prozent in Ordnung, aber nur 27 Prozent der Muslime. Deutlich sind die Unterschiede auch bei der Haltung zu Abtreibungen (47 zu 19 Prozent) und Pornografie (58 zu 18 Prozent). Die Befragung ergab aber, dass mit drei Prozent nur eine kleine Minderheit der Muslime in Deutschland sogenannte Ehrenmorde moralisch vertretbar findet, in der Gesamtgesellschaft gab dies ein Prozent der Befragten an.
Die Studie zu interkonfessionellen Beziehungen legte den Schwerpunkt auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Sie berücksichtigte aber auch Daten aus 27 Ländern in vier Kontinenten. Daraus geht hervor, dass Deutschland bei der Bedeutung von Religion im unteren Mittelfeld liegt. Hierzulande gaben 44 Prozent der Befragten an, dass Religion ein wichtiger Teil ihres Alltags ist. Am höchsten war dieser Wert in Bangladesch mit 99 Prozent, am niedrigsten in Norwegen mit 20 Prozent. (afp)
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