Oberhausen. Der Überraschungsgast saß in der ersten Reihe und wurde von der Regie freudig begrüßt. Neun Jahre war Rudolf Dreßler, Traditionssozi und für viele Genossen immer noch so etwas wie das soziale Gewissen der Partei, nicht mehr bei einer Veranstaltung der NRW-SPD gesichtet worden.

In Oberhausen, wo sich der Landesverband nach dem Absturz bei der Bundestagswahl sammelte, war der 68-Jährige zur Stelle, quasi als Symbolfigur. „Es hat mit Frau Kraft zu tun, dass ich hier bin”, verriet er, „sie hat gesunde Positionen.”

Geschundene Seele

Dass die SPD bei ihrem Zukunftskonvent mit 900 Besuchern ausgiebig über soziale Gerechtigkeit diskutieren konnte, hatte der Terminplan für die geschundene Parteiseele glücklich gefügt. „Unser Herzensthema”, sagte Landeschefin Hannelore Kraft, der wenig Zeit bleibt, ihre Partei gut sechs Monate vor der Landtagswahl aufzurichten.

Dreßler, zu dem ihr Gesprächsfaden nie abgerissen war, erhofft sich von Krafts bevorstehender Wahl zur SPD-Vize in Berlin mehr Einfluss aus NRW und sicherte seine Unterstützung zu: „Die Bundespartei braucht wieder mehr Impulse aus NRW.” Daran habe es in den letzten Jahren gefehlt, sagte er, ohne die Namen Clement und Steinbrück direkt zu nennen.

Dass Kraft bei der Landtagswahl mit Sozialthemen Boden gut machen will, wurde in ihrer Rede klar. Kampf gegen Kinderarmut – „jedes vierte Kind in NRW ist arm” –, gegen Auswüchse bei der Leiharbeit und eine „Gier-ist-geil”-Mentalität waren zentrale Botschaften. Zudem zeige der Vertrauensverlust für die SPD, dass es ein „Weiter so” nicht geben könne. Beim Parteitag in Dresden in zwei Wochen müssten die Sozialdemokraten beginnen, Perspektiven für eine „gerechte Gesellschaft” zu entwickeln, forderte sie.

„Wir müssen uns den Spiegel vorhalten lassen"

Die NRW-SPD gibt sich also noch sozialer als bisher – und ihre doppelte Oppositionsrolle in Berlin und Düsseldorf schafft neuen Raum für Selbstkritik. „Wir müssen uns den Spiegel vorhalten lassen”, befand Kraft, nachdem Uwe Becker für den Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe hart mit der Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre ins Gericht gegangen war. Der SPD riet er, von einer „staatlich gelenkten Sanktions-Pädagogik” zu einer Politik zurückzukehren, die sich dem „strukturierten Abbau von Armutsrisiken” verschreibe.

Auch in der Bildungspolitik gab es kritische Töne in eigener Sache. Die SPD werde nicht mehr als Partei wahrgenommen, „die Aufstieg über Bildung möglich macht”, so Kraft. Das müsse sich ändern. Sie kündigte für die Landtagswahl einen „klaren Gegenentwurf zur falschen Politik” der Regierung Rüttgers an, will bis dahin aber auch ständig auf „Brandsätze” im Berliner Koalitionsvertrag hinweisen. CDU und FDP hätten das Land „mit dem Virus des Sozialabbaus infiziert”, die „Inkubationszeit” reiche bis Mai. Kraft: „Nach der Landtagswahl bricht dann die Epidemie mit Sozialkürzungen und finanziellen Belastungen aus.”

Über Machtperspektiven für NRW wurde offiziell nicht geredet. Mit Dreßler, langjähriger Chef der SPD-Arbeitnehmer und erbitterter Kritiker der Agenda-Politik, hofft die SPD-Spitze sich aber gegenüber der Linkspartei zu wappnen und von ihr linke Gewerkschafter zurückzugewinnen, die enttäuscht von der SPD abgewandert waren. Für Dreßler ist zunächst die eigene Partei am Zug: „In Dresden hat die SPD keine andere Chance als eine Kurskorrektur.”