Elf Wochen täglich jeweils fünf Stunden sitzt die gertenschlanke Frau in der Sauna. Sie muss. Auf dem Weg zur vollkommenen Freiheit ist ihr jedes Mittel recht. Wenn Scientology sagt, innere Reinigung muss sein, dann gehorcht sie und fragt nicht.

Eine Scientology-Aussteigerin aus dem Ruhrgebiet gibt Einblicke in ein System, das sie um 50 000 Euro ärmer und psychisch abhängig machte.

Die Rentnerin möchte namentlich nicht genannt werden. Befindet sie sich doch im Rechtsstreit mit der umstrittenen Gemeinschaft. Sie will ihr Geld zurück. Der Rechtsstreit ist noch nicht beendet, Ausgang offen.

Dabei fing alles ganz harmlos an. Vor sieben Jahren machte sie die Bekanntschaft einer Künstlerin, die in ihrer Freizeit alternative Heilkunst praktizierte. „Ich bin mit der älteren Dame auf einem Kunstmarkt ins Gespräch gekommen. Ich hatte seit Jahren chronische Schmerzen und sie bot mir ihre Hilfe an.”

Von nun an auf einer

Stufe mit Hitler

So lernte sie jemanden kennen, der ihr vertrauensvoll erschien und kein Geheimnis aus seiner Scientology-Mitgliedschaft machte. „Ich wusste ohnehin nicht, was Scientology bedeutet”, gibt sie zu. Bei einem der zahlreichen Besuche trifft die damals in Scheidung lebende Frau auf einen unbekannten Mann. „Er saß auf dem Balkon. Er hatte sein Hemd weit aufgeknöpft. Ich hatte ein ungutes Gefühl.” Doch statt sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen, lässt sie sich auf ein Gespräch ein. Sie lässt sich einfangen mit plausiblen Antworten auf Fragen des Lebens. „Seine Ansichten fand ich gut”, erzählt das „Opfer”. Damals hätte sie alles getan, um Hilfe zu bekommen. Sie war psychisch wie physisch angeschlagen, hatte bereits 'zig Therapien hinter sich und griff nun nach dem rettenden Strohhalm.

Schließlich ist es dieser Mann, der ihr die Scientology-Bibel, das Dianetik-Buch, gibt und sie ins „Celebrity Center” nach Düsseldorf holt. „Alle Leute dort waren sehr freundlich. Ich fühlte mich sehr gut behandelt und verstanden”, erzählt die Aussteigerin. Dass Scientology sich einen wissenschaftlichen Anstrich gibt, gefällt ihr: „Von Psychotherapien hatte ich genug. Ich wollte was Handfestes.” Nach Beweisen oder Belegen für Scientology-Thesen fragt sie nicht.

Während sie in ihren Erinnerungen kramt, zieht die ehemalige Textilgestalterin an einer Zigarette und sortiert die „Höhepunkte”: Bevor sie Mitglied wird, unterzieht sie sich einem Persönlichkeitstest mit 200 Fragen. In ihrem ersten Kursus lernt sie, still zu sitzen. Über mehrere Stunden darf sie sich nicht bewegen und muss ihrem Trainingspartner in die Augen schauen. Sie lernt, sich „flach zu machen”. Will heißen: Bis zu tausendmal wird sie mit einer Schwäche konfrontiert. „Man stumpft dabei ab, wenn man das hört, was man eigentlich nicht hören mag und wird einen Moment lang selbstbewusster”, sagt sie. Sie legt eine Beichte ab, die bis in die Kindheit zurückgeht. Sie listet auf, „was ich versaubeutelt habe”. Sie muss Vitamine schlucken und ihren Körper von Giften befreien. Begründung: Nur so könne sie ihre Engramme beseitigen, also mentale Störungen, die den Weg zur Freiheit blockieren. „Du machst das. Du hoffst, am Ende belohnt zu werden.”

Doch der Zustand der Frau bleibt schlecht. Stattdessen ist sie so oft wie möglich in Düsseldorf. Sie belegt Kurse, nimmt an Reinigungsritualen teil, liest in der Scientology-Bibel. Und dann kommt der Tag, an dem ihr ein Auditing, ein Life-Repair nahegelegt wird. Sie soll an den so genannten Lügendetektor, will ihre Seele von allen Widersprüchen befreien. Die Frau setzt alles auf eine Karte und verschuldet sich. Denn das Auditing kostet 30 000 Euro. „Ich hab' eine Hypothek auf meine Eigentumswohnung aufgenommen.” Doch weil sich auch hier nicht der versprochene Zustand einstellt, bricht die auf Heilung Hoffende das auf hunderte Stunden angesetzte Auditing ab. Als sie um Rückerstattung der bereits gezahlten 30 000 Euro bittet, beißt sie auf Granit.

Letztlich sind es andere Dinge, die die Frau zum Ausstieg bewegen. Die Geldgier – „man wollte mir teure Bücher andrehen” , Menschenverachtung „der Zweck heiligt die Mittel, und Scientology-Mitglieder dürfen alles” und die Totalitarität. „Scientology hat für jeden Lebensbereich eine Antwort: Sex, Beruf.” Vergangenes Jahr kündigte sie ihre Mitgliedschaft. Prompt riefen Scientologen aus der ganze Welt an. Sie solle bleiben, sonst werde sie zur „,surpressive person', auf einer Stufe mit Adolf Hitler”. Statt sich einschüchtern zu lassen, holte sie sich juristischen Beistand bei Sekten-Info NRW. „Ich bin dem Rachen des Tigers entkommen”, sagt sie heute.