Gelsenkirchen. Turbulenzen beim nordrhein-westfälischen Callcenter-Primus Tectum: Vorgesetzte sollen Mitarbeiter mit Stricknadeln gepiekst haben, um sie zu disziplinieren. Proteste von Verdi quittierten Mitarbeiter und Betriebsrat mit einer Demonstration – gegen die eigene Gewerkschaft.

Mit Stricknadeln sollen Mitarbeiter des nordrhein-westfälischen Callcenter-Primus Tectum zur Disziplin gezwungen werden, protestiert die Gewerkschaft Verdi. Ausgerechnet die Mitarbeiter selbst sowie der Betriebsrat quittierten das jetzt mit einer Demonstration – gegen die eigene Gewerkschaft. Die Firma spricht von „haltlosen Unterstellungen”.

Die Lawine ins Rollen gebracht hatte der Journalist Günter Wallraff, der in einem Interview die Callcenter-Branche als „modernes Sklaventum” bezeichnete und die Gelsenkirchener Tectum-Gruppe des „Mitarbeiter-Betrugs” bezichtigte. In Internet-Foren meldeten sich ehemalige Beschäftigte zu Wort, die über „Hungerlöhne” und „Mobbing” klagen. In den Büros seien nicht nur Stricknadeln zum Einsatz gekommen. Wer nicht parierte, dem sei der Stuhl entzogen worden.

„Sehr konkrete Menschen”, so Verdi-Sekretär Gerd Vatterot hätten sich an die Gewerkschaft gewandt. Verdi hatte Tectum mit Callcentern in Gelsenkirchen, Essen, Dortmund und Oberhausen, die 2500 Menschen beschäftigen, schon seit geraumer Zeit im Visier. „Hier gibt es keinen Tarifvertrag”, bemängelt Vatterot. Nicht überall, aber in einigen Abteilungen seien „untragbare Arbeitsbedingungen” zu beklagen. Tectum-Gründer Hubertus Küpper wirft der Verdi-Sekretär vor, den „Retter des Ruhrgebiets” zu geben, die Gewerkschaften aber aus dem Unternehmen heraushalten zu wollen.

Betriebsrat contra Verdi

Der Keil wurde auch nach außen hin sichtbar, als der Tectum-Betriebsrat am vergangenen Freitag zu einem „Betriebsausflug” zum Verdi-Büro in Bochum einlud. Rund 450 Mitarbeiter – zum Teil mit Stricknadeln ausstaffiert – folgten dem Aufruf, um gegen die Gewerkschaft zu demonstrieren. Verdi-Sekretär Vatterot ist davon überzeugt: „Tectum hat den Leuten nicht nur frei gegeben, sondern die Demonstration auch finanziert.”

Einen Vorwurf, den Geschäftsführung und Personalvertretung entschieden zurück weisen: „Die Mitarbeiter wollten von sich aus dahin. Sie waren nicht vom Arbeitgeber getrieben”, versichert der Gelsenkirchener Betriebsratschef Frank Perlik, der selbst Verdi-Mitglied ist. Und Tectum-Boss Hubertus Küpper ist sich sicher: „Es wären 1500 Mitarbeiter nach Bochum gefahren, wenn wir die Arbeit hätten unterbrechen können.”

„Arbeitsplätze gefährdet”

Küpper wies am Mittwoch alle Vorwürfe gegen die Tectum-Gruppe zurück: „Verdi will uns da Dinge ans Zeug flicken, die ich in Gänze dementieren möchte”, so der geschäftsführende Gesellschafter. „Meine 2500 Mitarbeiter sind zu 95,9 Prozent zufrieden.” Küpper: „Hier wird niemand mit Nadeln gestochen oder durch Stuhl-Wegziehen drangsaliert. Dafür gibt es keinen einzigen Beweis.”

Der Konzernchef wirft Verdi vor, ihre Kampagne allein auf die Aussagen von zwei ehemaligen Tectum-Mitarbeitern zu stützen. „Hier könnten Arbeitsplätze gefährdet werden”, drohte Küpper. Tectum übernimmt für große Konzerne etwa aus der Telekommunikationsbranche die Telefonate mit Kunden. Laut Küpper zahlt Tectum seinen Mitarbeitern einen Stundenlohn zwischen acht und 15 Euro. „Wir haben Krankenstände, von denen andere nur träumen können”, meint der Konzernchef.

Die Fronten zwischen Tectum und Verdi sind verhärtet. Ein Gesprächsangebot, das die Gewerkschaft an die Geschäftsführung richtete, will Hubertus Küpper prüfen.

Die Callcenter gelten als Jobmotor in Deutschland. Nach Angaben des Call Center Forum e.V. beschäftigt die Branche rund 500 000 Menschen und erwirtschaftete 2008 einen Umsatz von zwölf Milliarden Euro.