Mülheim/Essen. Experten fordern Ökonomie als Pflichtfach und die Bildungsministerin hat die Idee, Manager in die Klassen zu schicken. Der Schulalltag kennt ganz andere Sorgen. Es gibt kaum Weiterbildung und statt guter Leitfaden-Literatur nur lose Empfehlungen.
Was steckt hinter dem Begriff Globalisierung? „Das bedeutet, dass weltweit Handel stattfindet”, antwortet Christopher. Was weißt du über die Ursachen der Wirtschaftskrise? Pascal: „In den USA haben sich einige Banken so lang faule Kredite zugeschoben, bis alles zusammengebrochen ist.” Ökonomisches Wissen Klasse 10, Differentialbereich Politik/Wirtschaft der Karl-Ziegler-Schule, ein Mülheimer Gymnasium. 23 von 120 Schülern einer Jahrgangsstufe haben Wirtschaft gewählt. Drei Stunden pro Woche. Die anderen bevorzugen Sprachen, Kunst oder Naturwissenschaften. In der Oberstufe müssen alle noch den halbjährigen Kurs Sozialwissenschaften belegen. Ist das genug?
Nicht auf das Leben vorbereitet
„Schulen in Nordrhein-Westfalen bereiten nicht ausreichend auf das Leben vor. An Gymnasien haben wir einfach zu viele Fächer, die spiegeln die Wirklichkeit nicht wider”, sagt Werner Andorfer, der Direktor. „Wir brauchen dafür dringend konzentrierten Unterricht in Wirtschaft, Recht und Gesundheit.” Am wichtigsten sei: Wirtschaft.
Von dem Aufruf von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) zu mehr praktischem Engagement der Industrie an Schulen hält Bildungspraktiker Andorfer trotzdem nichts. „Wir brauchen nicht hochqualifizierte Fachleute, sondern jemanden, der das auch vermitteln kann. Und zwar dauerhaft, nicht punktuell.” Aber können Lehrer das überhaupt leisten?
„Gut die Hälfte der Lehrer, die an Schulen Wirtschaft unterrichten, sind fachliche Quereinsteiger”, sagt Dirk Rudolph von der Frankfurt School of Finance & Management. Zweimal im Jahr gestaltet der Diplom-Volkswirt der renommierten Privathochschule, kostenlose Wirtschaftslehrgänge für Lehrer in Hessen mit. 40 Teilnehmer verzeichnet er im Durchschnitt. „Lehrer sind extrem weiterbildungsresistent. Kaum jemand wehrt sich so sehr gegen Weiterbildung wie die, die bilden.” Das erlebe er tagtäglich. Ökonomie werde als Wissenschaft nicht immer nicht ernst genug genommen.
Bloß Thema, nicht Qualifikation
Wirtschaft – an deutschen Schulen lehrplangetreu noch immer nur ein „Thema” und keine Kernqualifikation. So heißt es auf WAZ-Anfrage im Antwortschreiben des NRW-Schulministeriums auch, dass sich Lerninhalte „am Lebensumfeld der Schüler orientieren sollen”. Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat da konkretere Vorstellungen. Schüler sollten lernen, „wie die Krankenversicherung funktioniert oder der Geldverkehr”. Die Jugendlichen müssten als Verbraucher geschult werden, etwa beim Haushalten mit ihren Handykosten.
Praxisnah soll es zugehen. Vorgeschriebene Literatur gibt es nicht, nur „Empfehlungen”. Lehrerin Elisabeth Lütteken (57) verwendet genehmigte Broschüren, selbst gewählte Filme und Zeitungsausschnitte, nahm mit ihrem Kurs an einem Börsenplanspiel teil – und gewann.
Ökonomische Bildung an deutschen Schulen hängt, dieser Vorwurf ist nicht neu, vom Lehrkörper, genauer: vom Zufall ab. Das Schulministerium spricht dagegen von „fundiertem wirtschaftlichen Grundwissen”, freilich nicht ohne gleich wieder einzuschränken: „Gerade die Finanzkrise zeigt, dass selbst eine hochkarätige und wissenschaftlich fundierte ökonomische Bildung nicht davor schützt, katastrophale Fehler zu machen.”
„Wirtschaft ist an der Schule nicht mehr als ein Laberfach”, kommentiert Volkswirt Rudolph. Zwei Ansätze für das Schulfach gebe es: „Gesamt- und Hauptschulen bereiten auf den Arbeitsmarkt vor.” Gymnasien müssten aber weitaus mehr leisten, nämlich zur Welt der Wissenschaft, einem Hochschulstudium, hinführen. Dabei dürfe es nicht um Meinungen und Ideologien gehen, sondern um das Handwerkszeug zur Analyse.
Kontrolle der Volksvertreter
„Schüler müssen darauf vorbereitet werden, wie sie ihre Volksvertreter kontrollieren können”, so Rudolph. Wie über das Für und Wider von Konjunkturpaketen mitdiskutieren, „wenn das in der BRD kaum noch jemand versteht? Unsere Lehrer ja auch nicht”.
RWI-Präsident Christoph Schmidt kommt zu dem selben Schluss. „Der entscheidende Hemmschuh ist die Ausbildung der Lehrer, die ebenfalls volkswirtschaftliche Schwerpunkte als Pflichtteil enthalten sollte.” Weiterbildung halten beide Experten für entscheidend. Und die, meint Rudolph, müsste ganz oben ansetzen, „bei den Kultusministern”.