In Hamburg kämpfen Eltern mit einem provokant-ironischen Internetauftritt für eine neue Tagesstätte

Die Internetadresse provoziert: www.kinder-wegsperren.de. Wer sie ansteuert, dem blickt auf der Startseite mit ernstem Gesicht ein kleiner Junge entgegen. In der Hand hält er ein Schild, auf dem der Satz steht: „Ich produziere zu viel Dezibel.” Wer sich einlässt auf diese ironische Provokation einer Elterninitiative, für den entfaltet sich der Fall der Kindertagesstätte Reventlowstraße. Er dient als Musterbeispiel dafür, mit welchen Problemen jene ringen müssen, die eine Kita in einem Wohngebiet einrichten wollen. Die Bundestagsentscheidung zum Kinderlärm könnte Bewegung in einige zähe Verfahren bringen. Zum Beispiel in Hamburg:

Der Fall, der es bis vor das Oberverwaltungsgericht brachte, reicht zurück bis Ende 2007 – mit der Bedarfsermittlung für eine neue Kindertagesstätte im Stadtteil Othmarschen. Wenig später folgte der Bauantrag, 60 Kinder sollen in der Kita untergebracht werden. Auch der Sohn von Thomas Dyckhoff, einem der Sprecher der Elterninitiative. „Man ist froh, dass es eine neue Kita gibt, meldet sein Kind an und kümmert sich nicht mehr drum.” Auch nicht um möglichen Widerstand.

Doch der regt sich bei einigen Nachbarn. Nicht nur Kinderlose und Senioren, auch eine Familie mit Kindern zähle zu den jenen, die Lärmschutz verlangen – und ihre Ruhe. Die scheinen sie nicht zu bekommen. Die Baugenehmigung wird erteilt, Betreuungsverträge werden geschlossen, die zuständigen Ämter entscheiden, dass die Lärmbeeinträchtigungen als „sozialadäquat” hinzunehmen seien.

Die Nachbarn nehmen aber nicht hin, sie nehmen den Rechtsweg. Als sich alles auf die Eröffnung am 1. September 2008 freut, legen sie Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein und feiern ihren ersten Sieg. Bemühungen von Eltern, mit der anderen Seite ins Gespräch zu kommen, scheitern. Die Nachbarn seien in ihrer Ablehnung sehr bestimmt gewesen, so Dyckhoff.

Der Lärm, der in den folgenden Monaten entfacht wird, rührt in erster Linie vom Rascheln in Gerichtsakten und Schriftstücken.

Alle Verästelungen dieser Auseinandersetzung im Detail zu schildern, würde möglicherweise ein juristisches Grundseminar im Verwaltungsrecht füllen, in ihren groben Umrissen erinnert sie an ein Ping-Pong-Spiel. Was immer der Betreiber anstellt, der privatrechtliche Verein Sterni, die Nachbarn geben keine Ruhe vor Gericht. Ein Kompromiss mit 32 Kindern? Widerspruch! Dann vielleicht nur zehn Kinder? Widerspruch!

An dieser Stelle gebraucht Thomas Dyckhoff dann doch das Wort „unmöglich”, um das Verhalten der lieben Nachbarn zu beschreiben. Obwohl er sie eigentlich nicht verteufeln wolle und ein gewisses Verständnis für sie habe. Wenn man weiß, unter welchen Umständen die angemeldeten Kinder in Ausweichquartieren untergebracht sind, muss man Dyckhoff ein sehr hohes Maß an Toleranz bescheinigen. Ein Shuttledienst wird eingerichtet, um Kinder zu anderen Kitas zu karren, selbst Küchen werden zu Spielzimmern umfunktioniert, damit die Kinder spielen und toben konnten. Obwohl toben? Bei der Enge?

Nach einem Jahr des Gerangels reißt den Eltern der Geduldsfaden und sie heben ihre Wegsperr-Aktion aus der Taufe. Zuerst plakatieren sie in Hamburg, dann entwickeln sie den Internetauftritt, sie schicken eine Petition mit beinahe 2000 Unterschriften an den Bundestag. Bislang war ihr Erfolg bescheiden. Lediglich zehn Kinder durften in die Kita einziehen. Doch mit der Bundestagsentscheidung steigen die Chancen, dass es doch 60 werden. Und dass der kleine Junge ein neues Schild benötigt. „Ich darf viel Dezibel produzieren."