Essen. Der Druck auf Schüler und Lehrer nimmt zu, weiß Arnold Evertz, Vorsitzender des Landesverbandes Schulpsychologie NRW. Ein Interview über die Aufgaben, Wünsche und Ziele von Schulpsychologen.

Die Zeugnisse sind geschrieben, für Manche ist das Zeugnis ein Dokument des Scheiterns. Wie finden Sie das?

Arnold Evertz: Jede Nichtversetzung ist ein Kratzer in der Lebensbiographie. Man kann sie verdrängen, kompensieren, lernen, sie zu akzeptieren: Ganz vergessen wird man sie nicht. Wie sie verarbeitet werden kann, hängt mit vom Umfeld ab. Wir bieten auch über Kummertelefone Hilfe an. Als Chance wird Sitzenbleiben erfahrungsgemäß nur von sehr wenigen Schülern aufgefasst.

Haben sich die Probleme an Schulen verändert?

Der Druck auf Schüler und Lehrer nimmt zu, weiß Arnold Evertz, Vorsitzender des Landesverbandes Schulpsychologie NRW.  Foto: Ulla Michels
Der Druck auf Schüler und Lehrer nimmt zu, weiß Arnold Evertz, Vorsitzender des Landesverbandes Schulpsychologie NRW. Foto: Ulla Michels © WAZ

Evertz: Ja, natürlich. Der Druck für Schüler und Lehrer ist deutlich größer geworden, bis in die Grundschule. VERA, Lernstandserhebungen, zentrale Abschlussprüfungen in Klasse 10 und 13 und verkürzte Schulzeit am Gymnasium hinterlassen ihre Spuren. Der Blick ist nur noch auf das Ergebnis gerichtet, für die Gestaltung der Lernprozesse und die Entwicklung der Schülerpersönlichkeit bleibt kaum Zeit. Dabei ist eine intakte Persönlichkeit Voraussetzung für Lernerfolge. Lehrer müssen nach seriösen Schätzungen bis zu 50% ihrer Kapazitäten für Schülerselektion aufwenden. Aber die Selektion produziert viel zu viele gescheiterte Schulkarrieren.

Amokläufe an Schulen in Deutschland gab es bisher nur an Gymnasien und Realschulen, nicht an Hauptschulen. Warum?

Evertz: Grundsätzlich gibt es an unseren Schulen - vor allem an Gymnasien und Realschulen - eine Kultur des Wegsehens, das heißt, ein Schüler der "funktioniert", wird leicht übersehen. Die Amokläufe waren alle Exzesse von Schülern, über die man wenig wusste, die ihre Probleme nach innen verarbeitet haben. Aber der Schrei nach innen ist schwer wahrnehmbar. Schüler an Hauptschulen leben ihr Verhalten eher offen aus, zwingen so zum Hinsehen, zur Reaktion. Und an vielen Haupt- und Gesamtschulen werden Lehrer vor Ort durch Sozialarbeiter, die auch für uns wichtige Ansprechpartner sind, unterstützt.

Kommen Schüler aus eigenem Antrieb zu Ihnen?

Evertz: Überwiegend werden sie durch Lehrer angemeldet. Dabei beziehe ich die Eltern als wichtigste Bezugspersonen gern mit ein. Wir verstehen unsere Arbeit als Hilfe zur Selbsthilfe. Zu mir kommen auch Schüler eigenständig, sicher weil ich zum Teil noch direkt an einer Gesamtschule arbeite. Wer vor Ort ist, den sucht man leichter auf. Schulpsychologen sollten feste Zuständigkeiten für Schulen haben, die Beziehungsstrukturen vor Ort kennen. Dafür brauchen wir aber mehr Personal.

Wieviele Schulpsychologen müsste es Ihrer Meinung nach geben?

Evertz: Ausreichend - im Sinne der Note "Vier" - fände ich eine Relation Schulpsychologe - Schüler von 1:5000. Das wären 600 Psychologen, mehr als das Doppelte des Ist-Zustandes. Für eine "Zwei" bräuchte es die Relation 1:2000.