Essen. Rund 170 Milliarden Euro spült die Mehrwertsteuer jedes Jahr in die Kassen von Bund und Ländern. Es ist die größte Einnahmequelle des Staates und sie wäre noch größer, würde der Staat nicht bestimmte Waren bevorzugen.
Weil sich jeder Bürger genügend Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs leisten können soll, werden diese Waren nur mit sieben statt 19 Prozent besteuert. Damit verzichtet der Staat auf gut 20 Milliarden Euro im Jahr.
Seit Beginn der Krise wird über diesen ermäßigten Satz diskutiert. Allerdings mal so und mal so. Vor einem halben Jahr ging es darum, den Konsum anzukurbeln – also wurde gefordert, mehr Waren geringer zu besteuern, damit die Leute mehr kaufen. Die Union wollte Gaststätten und Handwerker entlasten. Nun, da die Staatsschulden davonlaufen, kommen aus der Union Forderungen nach einer Abschaffung des ermäßigten Satzes.
Um die Tragweite dieser Forderung verstehen zu können, muss man wissen, warum der Staat welche Produkte bevorzugt behandelt:
Der Hintergrund
Wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, muss vorab Umsatzsteuer zahlen. Die EU schreibt eine Spanne von 15 bis 25 Prozent vor. Sie erlaubt aber auch Ausnahmen für Waren, die für jeden erschwinglich sein sollen. Der ermäßigte Satz ist die wichtigste soziale Steuerung. Auch hierfür gibt es eine Spanne: EU-Länder müssen diese Waren mit mindestens fünf, aber höchstens 17 Prozent besteuern. Zur Bewältigung der Krise erlaubte Brüssel, die Ermäßigung auch auf Gaststätten, Hotels und Handwerkerarbeiten auszudehnen. Einige Länder machen davon Gebrauch, Deutschland nicht.
Die bevorzugten Waren
Der ermäßigte Steuersatz liegt seit 1983 bei sieben Prozent und gilt für fast alle Lebensmittel mit Ausnahme von Getränken und Speisen in Gaststätten. Dahinter steckt die Logik, dass nur bevorzugt wird, was die Menschen für ihre Grundversorgung wirklich brauchen. So wird Leitungswasser mit sieben Prozent besteuert, abgefülltes Tafel- oder Mineralwasser aber mit 19 Prozent. Auch das Essen in einem Restaurant gilt als Luxus, den der Staat nicht fördert. Allerdings beschränkt er den täglichen Grundbedarf nicht auf Lebensmittel. Jeder Mensch soll auch Zugang zu Medien und Kunst haben. Deshalb gilt auch für Bücher und Zeitungen der ermäßigte Satz, ebenso für Kunstgegenstände und Sammlerstücke wie Münzen und Briefmarken. Auch der Personennahverkehr, Prothesen, Rollstühle und Hörgeräte sollen für jeden bezahlbar sein.
Die Streitobjekte
Der CDU-Finanzpolitiker Otto Bernhardt begründete seinen Vorstoß zur Abschaffung des ermäßigten Satzes damit, dass die niedrigen Sätze in den 1960er Jahren unter „völlig anderen gesellschaftlichen Umständen” eingeführt worden seien. Tatsächlich stammen die meisten Regelungen aus dem Jahr 1968. Umstritten sind aber nur wenige Waren. Die subventionierte Schnittblume hat schon viele Sommerlöcher gefült. Auch das Katzenfutter, das als konserviertes Lebensmittel ermäßigt besteuert wird, ist ein Klassiker. Dass sich unter den lebenden Tieren, die mal zu Fleisch werden sollen, das eher selten geschlachtete Pferd gehalten hat, ist ein weiteres Ärgernis. Wenn Isabel Werth ein neues Dressurpferd für eine Viertelmillion kauft, zahlt sie nur sieben Prozent Umsatzsteuer.
Umgekehrt ist schwer begründbar, warum für Kinderartikel wie Babywindeln der volle Steuersatz gilt.
Ausnahmen in Europa
Die soziale Legitimation legen andere EU-Länder weit großzügiger aus als Deutschland. 18 der 27 Staaten haben für sich Ausnahmen durchgesetzt – etwa Belgien und Griechenland für Schusterarbeiten, die jüngsten EU-Mitglieder für Restaurants, Frankreich für Putzfrauen.