Die hohen Energiepreise machen es dem Weltmarktführer schwer. Betriebsräte fordern Investitionen und fürchten den Verkauf

Essen/Bochum. Ungerecht, wettbewerbsverzerrend und standortgefährdend. Solcherart stellt sich für die IG-Metall-Frau Hannelore Elze die Lage beim Industriestrom dar. Von der behauptet sie, dass Länder wie Frankreich, Spanien, Italien und Schweden diesen zur Päppelung der eigenen stromintensiven Industrien subventioniert: und zwar auf 30 bis 35 Euro je Megawattstunde in Frankreich, 29 Euro in Spanien oder 25 in Italien.

Zum Vergleich führt die Chefin des Stahlbüros der IG Metall in Düsseldorf den Preis in Deutschland an: 60 bis 70 Euro. Selbst nach Abzug von Sonderregelungen etwa für die Alu-Industrie seien immer noch 50 Euro fällig. Bei Kostenblöcken von 30 bis 75 Prozent, den die Energie an den Gesamtkosten hält, gerät das schnell zum milliardenschweren K.-o.-Kriterium.

„Von Binnenmarkt kann hier kein Rede sein”, sagt auch Alfred Richmann, Geschäftsführer des Verbandes der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK). „Stahl, Alu, Chemie, Kupfer – die Industrien geraten jetzt dermaßen unter Druck, dass sie abwandern werden.” Das ist auch die Sorge der IG Metall. Die Gewerkschafter kämpfen um die Standorte der hoch produktiven Alu- oder Edelstahlindustrie in Deutschland. Der Kampf aber ist ungleich.

Beispiel Thyssen-Krupp. Im Düsseldorfer Mischkonzern mit starken Standbeinen im Stahl- und Edelstahlgeschäft steht derzeit ein Mammutumbau an, eine komplette Zwischenebene in der Konzernsteuerung wird entfernt. Ist das Großprojekt bewältigt, liegt vermutlich im Herbst eine neue Entscheidungsvorlage auf dem Tisch: Was soll mit dem Edelstahlgeschäft geschehen?

Die Hersteller von rostfreiem Stahl leiden unter enormen Überkapazitäten aus China, sie stehen mithin vor Zusammenschlüssen und einer Bereinigung. Die Frage aus Sicht von Thyssen-Krupp ist: Wird der Weltmarktführer beim Edelstahl selbst Geld in die Hand nehmen, um zu investieren und Wettbewerber zu übernehmen? Oder wird er das derzeit defizitäre Geschäft verkaufen? Und bei dieser Frage spielt der Strompreis eine wesentliche Rolle.

Die Arbeitnehmervertreter basteln an einem Konzept für einen „integrierten Edelstahlstandort” in NRW, bestehend aus den Werken Bochum (Flüssigphase, Warmbandstraße), den Weiterverarbeitern in Benrath und Dillenburg sowie dem Standort Krefeld, der derzeit mit einer Flüssigphase und Kaltwalzen ausgestattet ist.

Krefeld, so Bernd Kalwa, Betriebratschef von Thyssen-Krupp Nirosta, benötige mittelfristig eine so genannte Steckelwalzstraße: Eine Investition von rund 200 Millionen Euro, die es ermögliche, die Kunden aus einer Produktionslinie heraus zu bedienen. Ansonsten drohe die Schließung der Flüssigphase in Krefeld, denn der Konzern könnte auf die in Bochum zurückgreifen. Das aber bedeute weiterhin hohe Transportkosten und damit Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen integrierten Standorten. „Wenn wir nicht absehbar einen integrierten Standort bekommen, wird Edelstahl aus Deutschland verschwinden”, meint Kalwa.

Bei Thyssen-Krupp verweist man indes auf jüngst getätigte Investitionen in Krefeld, aber: Solange man auf das Werk Bochum zurückgreifen könne, sei eine solche 200-Millionen-Investition nicht „zwingend erforderlich”.

Transportkosten sind das eine, hohe Energiekosten das andere. „Es kann doch nicht sein, dass wir in Deutschland Industrien verlieren, weil wir eine andere Energiepolitik betreiben”, sagt der Betriebsratschef. Der günstige Industriestrom andernorts ist eine reale Gefahr – auch für die Edelstahlstandorte von Thyssen-Krupp, die sich als Weltmarkt- und Qualitätsführer sehen. Wenn bei einem Verkauf etwa der finnische Outokumpu-Konzern den Zuschlag bekäme, wäre es schnell vorbei mit den deutschen Standorten: Die Finnen bauen zusammen mit Eon ein Atomkraftwerk, sichern sich so günstigen Strom in Finnland, für den auch keine CO2-Abgaben fällig sind. Ähnliche Produkte und günstiger Strom – da sei die Standort-Entscheidung klar, meint Kalwa. Auch IG-Metall-Bezirksleiter Oliver Burkhard zeigt sich alarmiert. „Statt überteuerter Energie im Edelstahl brauchen wir längst fällige Investitionen.”