Ruhrgebiet. Iraner im deutschen Exil hoffen und demonstrieren für ihre Familien in der Heimat: „Es ist unser gemeinsames Schicksal.”
Lieder für die Freiheit und Blumen für die Damen: rote Rosen aus Teheran, sagt Nezameddin. „Grün für die Hoffnung, und die Dornen für das Blut.” Mehr müsste er nicht erzählen über diese Demonstration, seine Blumen sprechen, und sie sagen viel über das, was die Iraner gerade bewegt. Auch in Deutschland: Denn hier stehen sie in Dortmund, wie sie auch in Hamburg standen, in Frankfurt und Stuttgart, hier ist die Reinoldikirche, ein Platz mit vielen alten Steinen, und doch ist alles grün. Frauen vor allem, viele Kinder tragen die Farbe des Widerstands, Tücher, T-Shirts, Transparente und diese Schilder, die man aus dem Fernsehen kennt: „Where is my vote?”, wo ist meine Stimme?
Nur eine Stimme, sagt Awien Barhun, „sie wollen doch nicht viel. Sie wollen nur eine Stimme!” Und es ist doch viel, denn die meisten, die sich nun aus der Ferne sorgen um die Lieben im Iran, sie sind hier, weil sie ihre Stimme einst erhoben. Wie Madjid Nazari, der fünf Jahre im Gefängnis saß, der jetzt bebt am ganzen Körper, als er sich erinnert, dabei liegt seine Flucht aus der Heimat schon 15 Jahre zurück. „Wir kämpfen für unsere Freiheit!”, ruft der 45-Jährige, sein Deutsch kann kaum mithalten mit seinem rasenden Schmerz.
Geflohen vor Folter und Unterdrückung
Manche sind in Deutschland, die flohen schon vor den Schergen des Schah, die meisten vor denen des Ayatollah, nach der Islamischen Revolution. 80 000 sind sie, die meisten Männer, die anders zu reden wagten als das Regime, aber auch viele Frauen: Ein Viertel der iranischen Gemeinde in Deutschland gibt an, vor der Unterdrückung der Frau geflüchtet zu sein. Zur Demo in Dortmund kam keine mit Kopftuch. „Der Mantel des Islam”, sagt die Studentin Awien, „ist für die Iraner zu eng.”
Ein großer Teil sind immer noch Studenten, wie es schon war zu Weimarer Zeiten; „sie kommen zum Studieren”, weiß Awien, „aber sie bleiben für die Freiheit.” Sie sind es, die nun die Bilder aus den Netzen fischen, über Twitter und Facebook, sie laden Straßenschlachten herunter und Schreie. Sie hocken zusammen vor den Bildschirmen, und manchmal weinen sie. „Es ist so schwer, Kontakt zu kriegen”, sagt Nezameddin, er hat seine Eltern im Iran, seine Geschwister, Nichten und Neffen, aber wenn er sie anruft, hört er nur Störgeräusche – oder gar nichts.
Akbar Roshenas immerhin hat erfahren, wie seine Familie sich fühlt: „Man hat ihnen die Stimme geraubt und sie ausgenutzt”, sagt der Student aus Kassel. Deshalb trägt er die Plakate nun auch durch Deutschland, die in der Heimat erfunden worden sind: „Nieder mit dem Diktator” und ein durchgestrichenes Gesicht von Ahmadinedschad: „Not my President”. Er ist nicht mein Führer, sagt Nezameddin, der seinen vollen Namen lieber nicht lesen will, weil er den Geheimdienst vermutet überall: „Er ist allenfalls der Führer einer fundamentalistischen Minderheit.”
Der gelernte Designer kam 1986 nach Deutschland, sieben Jahre hat er es nach der Revolution noch zuhause ausgehalten, wo „viele gefoltert” und gar getötet wurden, „aber jetzt”, sagt er, „ist es besonders katastrophal.” Er hat ein sicheres Land gesucht, unter den Deutschen fühlt er sich frei, obwohl: „Fremder zu sein ist sehr schwer.” Exil, sagt Nezameddin, „ist ein Schicksal.”
Es ist auch das von Tahir Barhun, der seine Hände herzeigt voller Narben: „Sie haben mir die Zigaretten auf der Haut ausgedrückt. Aber es ist trotzdem mein Land.” Barhun, der Ingenieur, ist jetzt 58 und seit 20 Jahren in Dortmund, was er macht? „Taxifahrer.” Nezameddin auch. Wer auf deutschen Straßen einen iranischen Fahrer hat, sagen sie, könne sicher sein: „Er sitzt im Auto eines Arztes oder Ingenieurs.” Was sollten sie machen mit ihrer Bildung, die sie meist mitbrachten, ohne die Sprache? „Traurige Wahrheit.”
Im Iran die Revolution, im Exil die Wende
Deshalb vielleicht träumen sie davon, eines Tages zurückzukehren in die Heimat, Tahir und Madjid und auch die ganz jungen: „Es geht nicht um Mussawi”, sagen hier viele, die noch wissen, dass es unter diesem angeblichen „Oppositionellen” schon einmal auch nicht besser war. „Es geht um mein Volk”, sagt Awien, die 32 ist und „ein Revolutionskind”. Ihr Vater war ein Aktivist, und als sie nach Deutschland kam, war gerade die Wende. Ihr Volk, sagt sie, sei „freiheitsliebend”, sie meint das iranische, „das ist unsere Jahrtausende alte Kultur”. Sie singen jetzt die iranische Nationalhymne in Dortmund, es ist ein mehrstimmiger Gesang, der die Innenstadt füllt, „die saubere Version”, erklärt Awien, „ohne islamische Verse”.
Vater Tahir ist ganz sicher, diesmal werden sie es schaffen: „Alleine nicht, es ist eine Kette. Immer ein Stückchen. . .” Dafür halten sie zusammen, auch wenn sie nicht zusammen passen: Linke, Kurden, Monarchisten,aber alle Iraner. „Es ist unser gemeinsames Schicksal”, sagt Nezameddin. „Wir wollen frei sein”, sagt Awien. „Nur das!”