Washington. Guten Morgen, liebe Sorgen: Für den neuen US-Präsidenten beginnt nach Amtseid, Volksfest und Ballnacht der Ernst des politischen Lebens. Ob Finanzkrise, Guantánamo oder Kriege: Die Prioritätenliste ist lang.
Der Ernst des politischen Lebens begann am Mittwochmorgen um 8.30 Uhr. Es war das erste Mal, dass er das Oval Office im Weissen Haus als Präsident betrat - nach einem langen Tag des Jubels und einer kurzen Nacht im neuen Schlafzimmer: Um kurz nach ein Uhr morgens, so berichtete der neue Sprecher des Weißen Hauses Robert Gibbs gestern, seien der Präsident und die First Lady zu Bett gegangen. Als Obama nach knapp sechs Stunden Schlaf wieder aufwachte, waren die Feste vorüber, aber die Probleme noch da. "Jetzt beginnt die Arbeit", sagte der neue Präsident.
Nur ein paar Minuten pro Ball
Auf allen zehn offiziellen "Bällen zur Amtseinführung" erschien in der Nacht zum Mittwoch das neue Präsidentenpaar. Die spröde Beamtenstadt Washington erlebte einen Hauch von Hollywood, als sich Stars und Sternchen in den Ballsälen drängten, Tom Hanks mit Oprah Winfrey tanzte und selbst gestandene Politiker mit der Digitalkamera leicht verwackelte Erinnerungsfotos knipsten. Der Auftritt von Barack und Michelle Obama war bei jedem Ball nur wenige Minuten lang. Dass beide auf diesen Bällen "getanzt" haben, ist eine maßlose Übertreibung. Richtig ist: Sie haben sich auf jedem dieser zehn Bälle kurz auf die streng bewachte leere Bühne gestellt und im Kreis von Secret-Service-Agenten zur Musik gewippt, um sich dabei fotografieren zu lassen. Michelle Obama trug ein langes weißes Kleid, das an ein Brautkleid erinnerte; Barack Obama trug einen schwarzen Smoking mit weißer Fliege, darunter eine kugelsichere Weste. Nach jeweils fünf Minuten waren beide wieder verschwunden.
Auch am Mittwoch gingen die Obama-Festspiele in der Hauptstadt noch weiter, zum Beispiel mit einer "nationalen Gebetsstunde" in Washingtons überkonfessioneller Nationalkathedrale. Obama hatte sich für diesen Anlass den ersten homosexuellen Bischof der episkopalen Kirche der USA, Gene Robinson, als Prediger gewünscht - zum Ausgleich dafür, dass er für das Gebet bei der Amtseinführung den erklärten Gegner der Homo-Ehe, Rick Warren, ausgesucht hatte. Obama, der es versucht, allen recht zu machen - das ist ein Motiv, dass sich durch die Feierlichkeiten, aber auch durch die ersten politischen Schritte zieht.
Klarer Schnitt zur Ära Bush
Obamas Kabinett etwa ist ein Spiegelbild unterschiedlicher politischer Denkschulen, Parteiflügel, Regionen und Biographien. Bei der ersten Sitzung machte Obama deutlich, dass er einen klaren Schnitt zur Ära Bush will. Nicht zufällig war eine "Verfügung des Präsidenten", mit der die Militärtribunale in Guantanamo zunächst für vier Monate ausgesetzt werden sollen, eine der ersten konkreten Maßnahmen am Tag Eins im Weißen Haus.
Da sich die Wall Street von der Obama-Euphorie nicht hat anstecken lassen, sondern die spektakuläre Amtseinführung des neuen Präsidenten mit einem neuen Kurssturz am Dienstag begleitet hat, steht die Lösung der Finanz- und Wirtschaftskrise ganz oben auf der Prioritätenliste. Am Mittwoch traf sich Obama mit seinem Wirtschaftsteam und verhandelte mit dem Kongress über das 825-Milliarden-Dollar-Konjunkturpaket. Alle Verfügungen von Bush aus den letzten Tagen ließ Obama gestern auf Eis legen. Er will sie einer Überprüfung unterziehen. Und am Spätnachmittag traf sich Obama auch noch mit seinen Generälen und Beratern für Sicherheitsfragen, um die weiteren Schritte im Irak und in Afghanistan zu besprechen. Die Richtung ist klar, die Details sind offen: Die Truppen sollen schrittweise aus dem Irak abgezogen werden; in Afghanistan dagegen sollen künftig mehr US-Soldaten kämpfen, unterstützt von mehr Nato-Soldaten anderer Länder.
Doch wahrscheinlich ist die psychologische Wirkung des Neuanfangs im Augenblick wichtiger als die Liste der ersten Maßnahmen. "Obamas Präsidentschaft beginnt als eine Art Psychotherapie für eine Nation, die mit ihrem Selbstvertrauen hadert", schrieb der konservative Kommentator George Will am Mittwoch. Dass Obamas Chancen auf durchschlagende Erfolge schlecht stehen, glaubt dabei nicht einmal der konservative Skeptiker, im Gegenteil. Die Probleme, vor denen Obama steht, sind gewaltig, doch seine Startposition ist auch ausgesprochen günstig: "Obama hat eine unvorstellbare Machtfülle", meint George Will, "schon allein weil der private Sektor in den letzten Monaten so sehr geschwächt worden ist, aber auch weil er von der Partei und der Öffentlichkeit eine Unterstützung hat wie sie kein Präsident seit George Washington hatte."