Berlin. Beim Bundesparteitag der Sozialdemokraten erlebte die Partei einen kämpferischen Kanzlerkandidaten. Wie befreit trat Frank-Walter Steinmeier auf.

Normalerweise sind die Aufbrüche der SPD aus ihrer jeweiligen Krise mit einem neuen Vorsitzenden verbunden. Diesmal bekommt die Partei gewissermaßen einen neuen Kanzlerkandidaten. Er heißt Frank-Walter Steinmeier und tritt zum ersten Mal als Frank-Walter Steinmeier auf. Die Stimme klingt zwar noch leicht nach Gerhard Schröder, und die Sätze sind manchmal so knapp wie die von Franz Müntefering, aber eindeutig ist der Kandidat er selbst.

Nach der schweren Niederlage bei der Europawahl und dem Absturz in den Umfragen hätte man sich einen tristen Parteitag in einem tristen Mehrzweckhotel vorgestellt. Aber im Estrel ereignet sich ein erstaunlich fröhlicher Parteitag. Steinmeier hält eine kraftvolle Rede, mit der ihm aus Sicht der Delegierten alles Wesentliche zugleich gelingt.

Er positioniert die Partei in der Mitte, gibt die Richtung vor gegen alles Marktradikale, also gegen Schwarz-Gelb und eröffnet eine helle Perspektive für die Bundestagswahl: „Unsere Richtung, das ist die Richtung der Mehrheit in unserem Land.” Es gebe eine Mehrheit für eine demokratische und soziale Politik, brüllt Steinmeier. „Dieses Land ist kein Land der kalten Egoisten. Ich weiß das, ihr wisst das, alle wissen das.” Immer wieder brandet Beifall auf. Derart begeistert sah man Sozialdemokraten lange nicht mehr. Ihnen hat die Perspektive, überhaupt noch etwas gewinnen zu können, schmerzlich gefehlt.

In der Abwärtsspirale

Am Vorabend, beim Parteifest des „Vorwärts” war die Stimmung noch ziemlich beklommen. „Wer verloren hat, verliert.” – „Verlierer liebt man nicht.” Mit solchen Formulierungen beschrieben Sozialdemokraten ihren Zustand, sie fühlten sich in einer Abwärtsspirale gefangen. Müntefering versuchte ungewohnt ungelenk, seine Genossen von ihrer Traurigkeit abzulenken, indem er drei oft gestellte Fragen über Michelle Schumann beantwortete. „Erstens: Es gibt sie. Zweitens: Sie ist hier. Und drittens: Wir mögen uns.”

Umso mehr konzentrierten sich an diesem Abend die Erwartungen auf den Kandidaten, und eigentlich ahnten die Produzenten der Erwartungen schon, dass sie Steinmeier überfordern müssten. Eigentlich. Tatsächlich aber erfüllt Steinmeier ungefähr alles, wenn man hingerissenen Sozialdemokraten glauben darf.

Wende in der Strategie

Auch die Wende in der Wahlkampfstrategie unternimmt der Kandidat gut sichtbar. Schluss mit der negativen Kampagne gegen die Konkurrenz, die vor der Europawahl mindestens nichts gebracht hat. Beginn einer Werbekampagne für die SPD: „Alles was Deutschland in den letzten Jahren vorangebracht hat, alles, was dieses Land vor der Krise gestärkt und in der Krise zusammengehalten hat, kam von uns.” Kinderbonus, Umweltprämie, Opel – alles habe die SPD durchgesetzt. „Sagt es laut, sagt es täglich, sagt es überall”, ruft Steinmeier. „Sagt es mit Stolz. Dann werden wir auch andere überzeugen.”

Wie befreit wirkt Steinmeier, weil ganz offensichtlich nicht mehr der Kandidat sich in einen Wahlkampf einpassen soll, sondern diesen umgekehrt bestimmt und eigenen Stil auch im Angriff zeigt. Er zitiert CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla mit dem Satz: „Jetzt geht es um Ökonomie, und Arbeit ist da eine Unterfrage.” Nach einer kurzen Kunstpause sticht Steinmeier zu. „Was für eine Haltung verrät dieser Satz? Für uns ist Arbeit nie eine Unterfrage!”

Eines aber muss Steinmeier noch üben. Wenn er die Arme hochreißt und winkt, sieht er aus wie ein Fluglotse und nicht wie ein Kandidat in Siegerpose. Dafür holt er seine Frau Elke Büdenbender auf die Bühne, die ihre Faust dynamisch in die Luft zu stoßen weiß und dabei sehr sympathisch lacht.