Essen. Kanzlerin Angela Merkel besucht US-Präsident Barack Obama. Doch der Austausch von Freundlichkeiten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Deutschland für die USA immer unwichtiger wird.

In der modernen Medienwelt wird Politik über Personen wahrgenommen. Und auch das oft nüchterne Geschäft bilateraler Beziehungen, also das politische Verhältnis von Nationen und Regierungen zueinander, wird gern in den Kategorien des Menschlichen dargestellt: Zuneigung, Liebe, Verachtung, Eifersucht, Zerwürfnis, Versöhnung. Nur so erklärt sich die mediale Legende von der männerkumpelartigen Freundschaft zwischen Helmut Kohl und Bill Clinton.

Ihnen folgten, wenn man den Schlagzeilen glaubt, die erbitterten Erzfeinde Gerhard Schröder und George W. Bush, bis dann Bush und Merkel die angebliche "diplomatische Eiszeit" beendeten und wieder überraschend gute Freunde wurden, Nackenmassage und Grillabend inklusive. Nun also Merkel und Obama.

Spät für ersten Besuch

In der medialen Klischeewerkstatt sind längst die ersten Prototypen des neuen deutsch-amerikanischen Verhältnisses entstanden. Es heißt nun, die beiden könnten nicht gut miteinander, es ist die Rede von Skepsis, Distanz, Enttäuschung und Misstrauen. Nachtragend sei Obama, denn er könne der Kanzlerin nicht verzeihen, dass sie ihm im vorigen Jahr die Wahlkampfrede vor dem Brandenburger Tor nicht erlauben wollte. Merkel, so sagt man, habe längst gespürt, dass Obama sie nicht leiden kann, zuletzt bei seinem Deutschlandbesuch vor wenigen Wochen, als er Berlin links liegen ließ und sein Programm kaum mit der Kanzlerin abstimmte. Jetzt macht sich die Kanzlerin nach Washington auf, am Freitag wird sie im Weißen Haus sein. Obama ist schon fast ein halbes Jahr im Amt - für Merkels ersten Besuch beim neuen Präsidenten ist es reichlich spät, und auch das wird als Zeichen dafür gedeutet, dass das Verhältnis der beiden nicht gut ist.

Da mag im übrigen etwas dran sein, aber so genau, wie die meisten Journalisten das wissen wollen, weiß man es eben doch nicht. Beide, Merkel und Obama, sind viel zu professionell, um sich von kleinen Enttäuschungen und Eifersüchteleien leiten zu lassen. Sie sind beide an einem guten, das heißt: sachorientierten Verhältnis interessiert. Für menschliche Gefühle, sei es Zu- oder Abneigung, ist im internationalen politischen Geschäft viel seltener Platz, als viele Medien glauben machen wollen. Der Blick auf das deutsch-amerikanische Verhältnis wäre ohnehin klarer und unverfälschter, wenn man sich von den personalisierten Polit-Stories lösen würde. Bilder vom Händeschütteln im Oval Office sind für den Stand der deutsch-amerikanischen Beziehungen weitgehend bedeutungslos. Mehr noch: Viele der offiziellen Besuche enden ohne jedes greifbare Ergebnis und dienen, wenn man ehrlich ist, oft nur dem Zweck, werbewirksame Bilder herzustellen. (Auch Angela Merkel kann den Auftritt auf der Weltbühne im Wahlkampf gerade gut gebrauchen).

Nicht mehr so wichtig

Wer in den letzten zehn Jahren die amerikanische Politik aus der Nähe verfolgt hat, konnte dagegen eine Beobachtung machen, die erstaunlich wenig mit dem jeweiligen Präsidenten und Kanzler zu tun hat, aber um so dramatischer ist für das deutsch-amerikanische Verhältnis: Deutschland ist für die USA einfach nicht mehr so wichtig.

Seit dem Ende des kalten Krieges hat das politische Amerika das Interesse an Deutschland verloren, nicht vollständig, aber doch zu einem großen Teil. Niemand in Washington, versteht sich, würde das so sagen, denn immerhin bleibt Deutschland strategisch, politisch und wirtschaftlich so wichtig, dass man niemanden unnötig brüskieren will. Noch heftiger würde das Dementi in Berlin ausfallen, wenn man dort vom Bedeutungsverlust Deutschlands in den USA sprechen würde.

Eine nüchterne Bilanz

Deutsche Diplomaten sind schnell bei der Hand mit einer langen Liste von Themen, bei denen die Amerikaner, auch Obama, auf deutsche Hilfe zählen, von Afghanistan bis Iran. Das alles stimmt, aber unterm Strich steht doch eine nüchterne Bilanz der letzten 20 Jahre: Amerikas außenpolitische Interessen haben sich komplett verlagert. China und Indien werden als neue Wirtschafts- und Weltmächte genau beobachtet, die Auseinandersetzung mit dem Islam und der arabischen Welt dominiert die politischen Debatten, die potentiellen Krisenherde Iran und Nordkorea machen Angst, der Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern fordert die volle diplomatische Aufmerksamkeit, Südamerika hat immer größeren kulturellen Einfluss auf die USA. Deutschland ist ein wichtiger Partner, aber doch nur noch ein Partner zweiter Klasse.

Dieses Eingeständnis sollte den Stolz deutscher Politiker nicht verletzen, denn es hat auch viel für sich: Deutschland wird nicht länger als Problem oder Gefahr wahrgenommen, weder als Zieh- noch als Sorgenkind. Das schwindende amerikanische Interesse spiegelt so gesehen auch die politische und soziale Stabilität des wiedervereinigten Deutschland wider.