Essen. Ein Eichbeamter auf Abwegen, Ex-Mitarbeiter auf Rachefeldzug: Um den Fleischfabrikanten und Schalke-Aufseher Clemens Tönnies spielt ein Wirtschaftskrimi. Staatsanwälte ermitteln wegen Betrugsverdachts, Tönnies sieht Kauf-Interessenten am Werk.

Ausgerechnet Fisch. Es gehört schon ein gewisser Fahnder-Humor dazu, eine Ermittlungskommission „Fish” zu nennen, wo es doch um Fleisch geht. Oder hat das Landeskriminalamt (LKA) den Codenamen gewählt, weil es um die Zielperson ging, ein dicker Fisch?

Clemens Tönnies ist ein dicker Fisch, Aufsichtsratschef vom FC Schalke und Unternehmer, einer der es aus kleinsten Verhältnissen zum Eigentümer eines der größten Fleischkonzerne in Europa brachte. Gut 20.000 Schweine schlachtet sein Unternehmen allein am Standort Rheda-Wiedenbrück täglich, 350 Lkw fahren rein ins Werk und wieder raus. Der Laden, sein Laden, brummt. Knapp 3,8 Milliarden Euro Umsatz, 6500 Mitarbeiter, zwei Drittel davon im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück. Tönnies ist auch das, was man einen Standortfaktor nennt: wichtig für die Wirtschaft im Land.

Eichbeamter auf Abwegen

Und das alles könnte gefährdet sein? „Wenn es das Video mit der Manipulation des Eichbeamten nicht gäbe und uns das angehängt worden wäre, wir wären heute fertig”, sagt Clemens Tönnies. Das Video, aufgenommen an der Schweinewaage in der Nacht des 25. September 2007 kurz nach 23 Uhr, zeigt einen ungewöhnlichen Vorgang: Der Beamte H. vom hiesigen Eichamt kommt nächtens ins Tönnies-Werk, macht sich ohne die sonst übliche Schutzkleidung an Waage 2 zu schaffen und verschwindet wieder. Hinterher stellen Tönnies-Mitarbeiter fest, wiegt die Waage je Schwein etwa 700 Gramm weniger. Was den Bauern schaden würde.

Der Vorgang ist seltsam, noch seltsamer sind die Widersprüche, in die sich der Eichbeamte in der Vernehmung durch die Bochumer Staatsanwaltschaft verwickelt. Und seltsam ist es auch, dass es sich bei Waage 2 um jene elektronische Schweinewaage handelte, die keine zwei Wochen vorher während einer groß angelegten Durchsuchungsaktion vom Eichbeamten H. versiegelt worden ist. Absicht oder Dusseligkeit?

Der starke Mann beim FC Schalke 04

Clemens Tönnies, 52 Jahre alt, lebt im ostwestfälischen Rheda, ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Der Fleisch-Unternehmer gilt als starker Mann beim Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04, dessen Aufsichtsrats-Vorsitzender er seit 2004 ist. Sein Bruder Bernd, der 1971 das Firmen-Imperium gründete, war 1994 Vorstands-Vorsitzender der Schalker geworden, er starb wenig später. Auf dem Sterbebett habe er seinem Bruder Clemens das Versprechen abgenommen, „sich um Schalke zu kümmern”.

Seit gut zwei Jahren laufen nun die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Betrugs gegen Tönnies und etwa 50 weitere Beschuldigte. Oberstaatsanwalt Bernd Bienioßek ist zuversichtlich, die Ermittlungen „alsbald” beenden zu können. Ob und was letztlich von dem breitgefächerten Strauß von Vorwürfen hängen bleibt, wer weiß? Tönnies jedenfalls ist entschlossen, sauber aus dem Verfahren herauszukommen. Den Vorschlag der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen einen Strafbefehl und ein Jahr auf Bewährung zu beenden, lehnen dessen Anwälte jedenfalls strickt ab.

Herr der Fleischregale

Sie und Tönnies wissen nur zu genau, welche enorme Gefahr in einem solchen Deal liegt. Schließlich fehlt in kaum einem Discounter-Regal Hack, Beinscheibe oder Kotelett aus einem der vier Tönnies-Werke. Vorbestraft wegen Betrugs an Bauern oder Kunden – das ist schwer vermittelbar in dem Geschäft.

Auch wenn's dort zuweilen robust zugeht. Man duzt sich in der Branche. Zwischen halben Schweinen am Haken, Hundertschaften, die am Band Schultern oder Knochen herauslösen oder den Wolf befüllen, da siezt es sich schlecht. Und so soll es auch beim vertraulichen Du gewesen sein, als das Management des niederländischen Vion-Konzerns Tönnies im Hotel Steigenberger an der Düsseldorfer Kö erstmals ein Übernahmeangebot gemacht habe. Elf Millionen Schweine bringt Tönnies auf die Waage, in Deutschland macht das 20 Prozent Marktanteil, dann noch die Produktionskette hin zu Wurst- oder Schinkenherstellern, die alles so bekommen, wie sie zur Weiterverarbeitung brauchen – für Vion könnte Tönnies der letzte Schritt zur absoluten Nummer eins sein. 1,3 Milliarden Euro soll Vion geboten haben. Eine Stellungnahme lehnte Vion ab. Wie Tönnies nach eigenen Angaben das Übernahmeangebot ablehnte.

Tönnies vermutet Übernahmeversuch

Die Tönnies-Leute allerdings werden nicht müde, auf die Verbindungen hinzuweisen, die zwischen Vion und den Verdächtigungen gegen Tönnies zu finden sind. Das Dossier mit Anschuldigungen stammt von Richard W., einem früheren Tönnies-Mitarbeiter, der 2005 wegen Untreue zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden war. Eine Zivilklage auf Schadenersatz über 780.000 Euro, um die W. Tönnies geschädigt haben soll, ist anhängig.

Und: W. hat bei der Vion Food Group einen dreijährigen Beratervertrag erhalten. Das jedenfalls hat W. bei der Vernehmung am 25. September 2007 ausgesagt, an jenem Tag, an dem nächtens der Eichbeamte H. im Tönnies-Werk an der Waage herumfummelte.

Ist nun bei Tönnies tatsächlich manipuliert worden? Will sich W. an Tönnies rächen? Oder ihn im Dienste von Vion so weit schädigen, dass der Konkurrent den Konzern billig kaufen kann? Letzteres vermutet Tönnies, ist für Außenstehende aber schwer zu beurteilen. Der umtriebige Eichbeamte sagte in seiner Vernehmung, er kenne Vion nicht, noch habe jemand versucht, an ihn mit Blick auf Tönnies heranzutreten.

Brisanter Vorwurf

Ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren gegen den Beamten wegen „Fälschung technischer Aufzeichnungen” hat sich laut Staatsanwaltschaft „bislang nicht erhärtet“. Unklar bleibt, wie intensiv die Fahnder diese Spur verfolgten. Das Video über Herrn H.s Nachtaktivitäten hat bei den Ermittlern gewiss keine Jubelstürme ausgelöst.

Brisant für Tönnies bleiben die Anschuldigen seines Ex-Mitarbeiters W., bei der Produktion von gemischtem Hackfleisch den Rindanteil unter die vorgeschriebenen 45 Prozent geschoben zu haben.

Hochregallager mit Rind, viele Meter lange Bänder mit Schwein, ein Computer für die Beimischung von Fett vor dem mehrfachen Wolfen – der industrielle Prozess im Werk Rheda-Wiedenbrück ist komplex, ebenso, wie die Vorschriften für das Mischungsverhältnis aus Rind, Schwein, Fett. Die Anlage und den Produktionsprozess haben sich die Fahnder erst gar nicht angesehen. Die Anwälte von Tönnies geben sich sicher, dass sie die Vorwürfe widerlegen können. Fortsetzung folgt.

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