Istanbul. Wie sich die Wahrnehmungen doch unterscheiden: Türkische Medien feiern einen „Sieg” ihres Landes über die Nato, selbst regierungskritische Zeitungen loben das Verhandlungsgeschick ihres Premiers Erdogan in höchsten Tönen. Andere Stimmen sagen, das Land habe sich mit seiner Haltung auf dem Nato-Gipfel als EU-Beitrittskandidat endgültig disqualifiziert.
Wie sich die Wahrnehmungen doch unterscheiden: Türkische Medien feiern einen „Sieg” ihres Landes über die Nato, selbst regierungskritische Zeitungen loben das Verhandlungsgeschick ihres Premiers Tayyip Erdogan in höchsten Tönen. Auf der anderen Seite hinterlässt das türkische Tauziehen um den künftigen Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bei den europäischen Partnern Ankaras und wohl auch bei US-Präsident Barack Obama einen bitteren Nachgeschmack.
Türkei als Brücke zwischen Ost und West?
Der Streit, den Erdogan vom Zaun brach, wirft nicht nur einen dunklen Schatten auf die EU-Perspektive der Türkei – Kritiker behaupten bereits, das Land habe sich mit seiner Haltung auf dem Nato-Gipfel als EU-Beitrittskandidat endgültig disqualifiziert. Auch die oft beschworene Brückenfunktion der Türkei, ihre Rolle als Mittler zwischen dem Westen und der islamischen Welt, erscheint in einem anderen, unvorteilhaften Licht.
Die Türkei als Makler zwischen West und Ost, das war das Leitmotiv des Obama-Besuchs. Symbolträchtig deshalb sein Auftritt beim gestrigen Treffen der Allianz der Zivilisationen in Istanbul, einer 2005 von Erdogan und dem spanischen Premier Zapatero unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen gegründeten Initiative. Sie soll Brücken schlagen zwischen Gesellschaften und Kulturen, vor allem zwischen der islamischen und der westlichen Welt.
Strategische Bedeutung für die USA
Mit der Rolle der Türkei als Mittler zwischen Orient und Okzident begründet Erdogan nicht zuletzt den Anspruch seines Landes auf Mitgliedschaft in der EU. Und darin, das unterstreicht Obama mit seinem Besuch am Bosporus, liegt auch die besondere strategische Bedeutung der Türkei aus Sicht der USA.
Die Chancen, die sich damit eröffnen, sind tatsächlich verlockend. Dank guter Beziehungen zu den Herrschern in Teheran könnte die Türkei helfen, den Atomstreit des Westens mit dem Iran beizulegen. Die bereits im vergangenen Jahr von türkischen Diplomaten angebahnten Friedensgespräche zwischen Syrien und Israel sind ein Beispiel dafür, was Ankara als Vermittler in Bewegung bringen kann. Und die Bemühungen der Türkei um eine Normalisierung ihrer Beziehungen zu Armenien könnten der erste Schritt zu einer Stabilisierung des Kaukasus sein.
Beifall in der islamischen Welt
Doch erfolgreich kann in der Rolle des ehrlichen Maklers nur sein, wer unparteiisch ist. Selbst für erfahrene Diplomaten ist das eine schwierige Gratwanderung – und erst recht für einen oftmals unbesonnenen Politiker wie Erdogan. Das zeigte sich schon beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos, als Erdogan in einer Podiumsdiskussion den israelischen Präsidenten Schimon Peres mit anti-israelischen Tiraden attac-kierte, wutentbrannt davon stürmte und vorzeitig nach Istanbul zurückflog. Dort feierten ihn tausende Anhänger auf dem Rollfeld als „Eroberer von Davos”. In der arabischen Welt bejubelte man Erdogan als „Kalifen”.
Beim Eklat in Davos wie auch beim Gefeilsche um Rasmussen schielte Erdogan in erster Linie auf Beifall daheim und Anerkennung in der islamischen Welt. Die Rechnung scheint aufgegangen zu sein. Das belegen die gestiegenen Sympathiewerte für Erdogan in den türkischen Meinungsumfragen nach Davos, und das zeigen jetzt die euphorischen Reaktionen der Istanbuler Medien auf den Nato-Gipfel.
Der Preis ist hoch
Aus Sicht des Westens sieht das anders aus. Irritierend ist, dass türkische Politiker und Medien die Beziehungen zu Nato und EU zunehmend in kriegerische Kategorien wie „Sieg”, „Niederlage” oder „Eroberung” einordnen. Das Wort Partnerschaft fällt fast nie. Erdogan mag es gelungen sein, den Nato-Verbündeten Zugeständnisse abzuhandeln. Aber der Preis dafür ist hoch.
Mit seinem religiös begründeten Widerstand gegen Rasmussen offenbarte Erdogan nicht nur ein gestörtes Verhältnis zu Meinungs- und Pressefreiheit. Er erweckt auch den Eindruck, dass die Türkei in der Nato als Delegierter der islamischen Welt am Tisch sitzt. Damit hat Erdogan der EU-Kandidatur seines Landes einen Bärendienst erwiesen. Statt Brücken zu bauen hat Erdogan neue Gräben aufgerissen.